Die anti-elitäre Rebellion

Dass im Kino Dystopien derzeit überaus beliebt sind, positive Entwürfe dagegen Mangelware bleiben, wird oft damit erklärt, dass das Medium Film hier lediglich als Spiegel der aktuellen politischen Misere fungiere. Wie ich an dieser Stelle schon mehrfach ausgeführt habe, halte ich diese These für weniger überzeugend;1 die Popularität von Dystopien hat in meinen Augen andere Gründe. Was sich allerdings nicht abstreiten lässt, ist, dass die Welt seit letzter Woche deutlich dystopischer geworden ist. So dystopisch, dass ich mich ausnahmsweise zu einem tagespolitischen Kommentar genötigt fühle.

Zu Trump selbst möchte ich hier nicht viel schreiben. Dass seine Wahl eine Katastrophe ist und dass sich die USA auf eine gesellschaftspolitische Eiszeit gefasst machen können, in der es Minderheiten aller Art noch schwieriger haben dürften, während rassistische Gruppierungen fröhliche Urständ feiern, sollte jedem denkenden Wesen klar sein. Was Trumps Wahl aussenpolitisch bedeutet, ist zwar schwer abzuschätzen, Gutes ist von ihm aber kaum zu erwarten. Noch übler ist freilich, dass Trump selbst wahrscheinlich das kleinere Problem ist im Vergleich zu dem Gruselkabinett, das er um sich herum versammelt hat.

Thema dieses Eintrags soll aber nicht Trump sein, sondern die ziemlich absurde Diskussion über reale und vermeintliche Eliten, die mit seiner Wahl eingesetzt hat. Überall lesen wir nun, dass in dieser Wahl ein anti-elitärer Impuls sichtbar wurde. Die Eliten sind in ihren Blasen  (Elfenbeintürme sind nicht mehr in) derart abgekapselt, dass sie den Kontakt mit dem einfachen Wahlvolk verloren haben und deshalb nicht kommen sahen, was kommen musste. Dieser Schluss zieht sich quer durch die Medien und die politischen Lager, Nassim Nicholas Taleb und Adrian Daub vertreten ihn ebenso wie Rudolf Strahm oder Bernie Sanders (s. Clip). Der Tenor ist eindeutig: Die Elite muss sich wieder den Sorgen des kleinen Mannes (nicht so sehr jener der kleinen Frau) zuwenden. Aber nichts dergleichen geschieht, die Elite zeigt sich vielmehr borniert, die Intellektuellen wollen einfach nicht verstehen.

An dieser Interpretation scheint mir nur etwas korrekt: Ich habe in der Tat Mühe zu verstehen, warum «Joe Sixpack from Main Street» von der Mauer an der Grenze zu Mexiko mehr profitieren soll als von der Anhebung des Mindestlohns, wie Clinton ihn gefordert hat. Aber wahrscheinlich liegt das eben daran, dass ich ein elitärer Sack bin. Ansonsten ist an dem Befund so ziemlich alles falsch, nicht zuletzt, dass mit dem magischen Wort «Elite» wahlweise sehr unterschiedliche Dinge bezeichnet werden. Mal ist damit das demokratische Establishment um Clinton gemeint, dann wieder die Führungsriege der Republikaner, mal die genderistisch-feministische Weltverschwörung, mal Demoskopen, dann wieder einfach die da oben oder auch schlicht Intellektuelle jeder Couleur. Peter Schneider trifft es mit seiner Feststellung: «Die bösen Eliten sind immer andere.»

Obwohl der anti-elitäre Reflex nun allerseits als Erklärung rumgereicht wird, scheint mir dieser als Hauptgrund für den Wahlausgang nicht sonderlich plausibel. Damit will ich keineswegs abstreiten, dass es diese anti-elitäre Haltung gibt und dass sie in den USA mancherorts noch ausgeprägter ist als in unseren Breitengraden. Wofür ich aber wenig Anhaltspunkte sehe, ist, dass es sich hierbei um eine Neuerscheinung handelt. Vor allem deutet wenig darauf hin, dass es tatsächlich ein neuartiger anti-elitärer Furor war, der zum Wahlergebnis geführt hat. Die folgende Graphik welche die Wahlergebnisse der letzte drei Präsidenschaftswahlen in absoluten Zahlen darstellt, ist diesbezüglich sehr erhellend:2

Die Ergebnisse der letzten drei Präsidenschaftswahlen im Vergleich.

Die Ergebnisse der letzten drei Präsidenschaftswahlen im Vergleich.

Etwas springt bei dieser Zusammenstellung ins Auge: Nicht nur hat Clinton Trump in absoluten Zahlen geschlagen, dieser hat insgesamt kein sonderlich überragendes Ergebnis eingefahren. Trump macht rund 300’000 Stimmen mehr als Mitt Romney vor vier Jahren und etwas über 1,3 Millionen mehr als McCain 2012; zweifellos eine Steigerung, aber keine dramatische. Ganz anders sieht es bei Clinton aus: Sie hat massiv schlechter abgeschnitten als Obama 2008 (sieben Millionen Stimmen Differenz) und immer noch deutlich schlechter als dieser 2012 (fast 3,5 Millionen weniger). Auf den Punkt gebracht heisst dass, dass es nicht Trump war, der die Wahl glorios gewonnen hat. Vielmehr hat Clinton im Vergleich zu Obama deutlich verloren.

Das Gerede vom Aufschrei der durch Political Correctness und andere Bevormundung gegängelten weissen Mittelschicht verliert dadurch einiges an Plausibilität. Trump gelang es ganz offensichtlich nicht, im grossen Stil neue Wählerschichten anzusprechen, er konnte im Wesentlichen jene Gruppen halten, die auch schon früher republikanisch wählten. Das Ergebnis zeigt deutlich, dass die über drei Millionen Wähler, die Clinton gegenüber Obama eingebüsst hat, nicht ins Trump-Lager wechselten. Es gab keinen Massenexodus von der elitären Clinton zum anti-elitären Trump. Es sieht vielmehr danach aus, als seien viele potenzielle Clinton-Wähler der Urne einfach ferngeblieben.3

Zweifellos ist dieser Befund wenig schmeichelhaft für Clinton; die anti-elitäre Dynamik, die Horden wütender weisser Wähler (was für eine schöne W-Alliteration!), die allerorten beschrieben werden, sind aber eine Illusion oder zumindest nichts Neues. Einen spürbaren Einfluss auf Trumps Ergebnis hatten sie nicht. Oder noch einmal anders: Wenn diese Dynamik tatsächlich wirksam war, dann primär negativ – als Abstrafung der «abgehobenen Insiderin» Clinton. Hätte sie sich positiv auf den Aussenseiter Trump ausgewirkt, hätte dieser in absoluten Zahlen ein deutlich besseres Ergebnis erreicht.

Clinton war offensichtlich die falsche Kandidatin, ihr Image zu schlecht, um Trump zu schlagen (dass hier Sexismus eine zentrale Rolle gespielt haben dürfte, sei nur am Rande erwähnt). Die These von der neu erwachten anti-elitären Bewegung, ist dagegen Unsinn. Trump konnte auf das republikanische Lager zählen und hatte zudem das Glück, dass ihm eine äusserst unpopuläre Opponentin gegenüberstand. Für beide Seiten dürfte aber wohl gelten, dass ein/e weniger umstrittene/r Gegenspieler/in für ein viel deutlicheres Ergebnis gesorgt hätte.

Die Eigenheiten des Elektorensystem sorgen dafür, dass es für Clinton gereicht hätte, wenn sie nur an ein paar entscheidenden Orten mehr Wähler an die Urne gebracht hätte. Dann würden wir heute ganz andere Wahlanalysen lesen: Von einer schallende Ohrfeige für Demagogen wäre dann die Rede und davon, dass die Amerikaner eigentlich grundanständig seien und es für den Trump’schen Rassismus in den USA keinen Platz gibt etc.

  1. Siehe u.a. hier und hier.[]
  2. Die Zahlen stammen von Wikipedia, die ihrerseits auf Daten der Website uselectionatlas.org (Stand 16.11.2016) zurückgreift. Amtliche Ergebnisse scheinen noch nicht vorzuliegen und je nach Quelle variieren die Zahlen auch leicht. Manche Websites geben sogar an, dass Trump hinter McCain und Romney lag. Die Grössenordnungen bleiben aber gleich.[]
  3. Natürlich wäre theoretisch auch eine andere Erklärung denkbar: Millionen von Wählern, die früher demokratisch gewählt haben, wechselten die Seiten. Oder aber es waren Heerscharen von Nicht-Wählern, die dieses Mal plötzlich an die Urne gingen, um es den Eliten mal so richtig zu zeigen. Das würde freilich bedingen, dass im Gegenzug ebensoviele Millionen, die normalerweise republikanisch wählen, gar nicht an die Urne gegangen sind. Mir scheint das aber nicht sehr wahrscheinlich und mir sind auch keine belastbaren Daten bekannt, die etwas Entsprechendes nahelegen würden.[]