Erschienen: Interview mit Ivan Engler

In der Zeitschrift für Fantastikforschung veröffentlichen wir in jeder Ausgabe ein Interview mit einem/r »Phantastik-PraktikerIn«, also einem Menschen, der sich in irgendeiner Form kreativ mit einem phantastischen Genre beschäftigt. Diese Interviews sind als Gegengewicht zu den übrigen akademisch ausgerichteten Beiträgen in der Zeitschrift gedacht sowie als Erinnerung daran, dass wir ohne die Künstlerinnen und Künstler gar nichts hätten, was wir analysieren könnten.

Cargo

Cargo

In der Vergangenheit haben wir ausschliesslich Schreibende interviewt, was nicht sonderlich erstaunlich ist, da es gerade im deutschsprachigen Raum nicht allzu viele »phantastische Filmemacherinnen« oder »phantastische bildende Künstler« gibt. Das jüngste Interview weicht von diesem Muster ab: Ich hatte das grosse Vergnügen, den Winterthurer Filmemacher Ivan Engler, seines Zeichens Regisseur von Cargo, dem ersten und nach wie vor einzigen Schweizer Science-Fiction-Langspielfilm, zu interviewen. Ivan, den ich seit Jahren kenne, war sehr offen und sprach ausführlich über seinen Werdegang und sein nächstes Projekt.

Das vollständige Interview gibt es hier.

Ivan Engler

Ivan Engler

… and Beyond the Infinite

Die schwedische Produktion Aniara – nach dem gleichnamigen epischen Gedicht von Harry Martinson – ist einer der interessantesten Science-Fiction-Film der vergangenen Jahre. Zwar nicht ganz perfekt, aber mit sehr vielen sehr sehenswerten Momenten. Der Film reiht sich in die Tradition «langsamer Weltraumfilme» ein, zu denen unter anderem auch 2001: A Space Odyssey, Solaris oder Sunshine gehören (und der Beschreibung nach wohl auch Ad Astra, den ich aber noch nicht gesehen habe). Unter diesen Filmen ist Aniara aber zweifellos der kälteste und gnadenloseste. Ich sprach an der von der türkischen Cappadocia-Universität ausgerichteten virtuellen Tagung Living in the End Times: Utopian and Dystopian Representations of Pandemics in Fiction, Film and Culture, die vom 13. bis 15. Januar 2021 stattfand, über den Film.

Leider habe ich erst im Nachhinein bemerkt, dass das Mikrophon meiner Kopfhörer in Kombination mit dem Rollkragen meines Pullovers für ein permanentes Hintergrundkratzen sorgt. Ich bitte, die Störgeräusche zu entschuldigen.

 

2020 in Filmen und Büchern

Aus der Kategorie «Listen, die niemand braucht» poste ich hier – Letterboxd und goodreads sei dank – die Filme und Bücher, die ich im vergangenen Jahr gesehen bzw. gelesen habe.

Filme

Folgende Filme habe ich vergangenes Jahr zum ersten Mal gesehen – davon einige sogar im Kino! Serien sind nicht aufgeführt.

The Adventures of Buckaroo Banzai Across the 8th Dimension

Ein sehr schräger Film Buckaroo Banzai

The 40-Year-Old Version. Radha Blank. US 2020.
1917. Sam Mendes. US/GB 2019 (siehe dazu auch meinen Artikel «Erzählen ohne Unterbruch»).
8:46. Dave Chappelle. US 2020.
À l’abordage!. Guillaume Brac. FR 2020.
À la folie … pas du tout. Lætitia Colombani. FR 2002.
About Endlessness. Roy Andersson. SE/DE/NO 2019.
The Adventures of Buckaroo Banzai Across the 8th Dimension. W. D. Richter. US 1984.
Airplane!. Jim Abrahams, David Zucker und Jerry Zucker. US 1980.
An American Pickle. Brandon Trost. US 2020.
Angel Heart. Alan Parker. US 1987.
Der Ausdruck der Hände. Harun Farocki. DE 1997.
Baghdad in My Shadow. Samir. CH/DE/GB/IQ 2019.
The Battle of San Pietro. John Huston. US 1945.
Big. Penny Marshall. US 1988,
Black Hawk Down. Ridley Scott. US/GB 2001.
Le Bonheur. Agnès Varda. FR 1965.
Bruno Manser – Die Stimme des Regenwaldes. Niklaus Hilber. CH/AT 2019.
Calamity, une enfance de Martha Jane Cannary. Rémi Chayé. FR/DK 2020.
Chris the Swiss. Anja Kofmel. CH 2018.
Crazy, Stupid, Love.. Glenn Ficarra und John Requa. US 2011.
Dolittle. Stephen Gaghan. US 2020.
Dont Look Back. D. A. Pennebaker. US 1967.
Double Trouble. E.B. Clucher. IT 1984.
A Fistful of Dollars. Sergio Leone. IT/ES/DE 1964.
Harry Potter and the Philosopher’s Stone. Chris Columbus. US/GB 2001.
The Host. Bong Joon-ho. SK 2006.
The I Inside. Roland Suso Richter. GB/US 2004.
I’m Thinking of Ending Things. Charlie Kaufman. US 2020.
In Bruges. Martin McDonagh. GB/US 2008.
The Irishman. Martin Scorsese. US 2019.
Jadgzeit. Sabine Boss. CH 2020.
Krabat. Marco Kreuzpaintner. DE 2008.
Kubrick by Kubrick. Gregory Monro. FR 2020.
Little Women. Greta Gerwig. US 2019.
Lust for Life. Vincente Minnelli. US 1956.

Lust for Life

Farbig: Lust for Life

Magnificent Obsession. Douglas Sirk. US 1954.
Mank. David Fincher. US 2020 (siehe dazu meine Rezension).
The Man Who Shot Liberty Valance. John Ford. US 1962.
Mare. Andrea Staka. CH/HR 2020.
Das Millionenspiel. Tom Toelle. De 1970.
Moskau einfach!. Micha Lewinsky. CH 2020.
Oldboy. Park Chan-wook. SK 2003.
On the Rocks. Sofia Coppola. US 2020.
Onward. Dan Scanlon. US 2020.
Out of the Present. Andrei Ujică. DE 1997.
Platzspitzbaby. Pierre Monnard. CH 2020.
Portrait de la jeune fille en feu. Céline Sciamma. FR 2019.
Primary. Robert Drew. US 1960.
Quello che non sai di me. Rolando Colla. CH/IT/CZ 2019 .
Les raquetteurs. Michel Brault und Gilles Groulx. CA 1958.
Rebecca. Ben Wheatley. GB 2020.
Red Road. Andrea Arnold. GBB/DK 2006.
The Remains of the Day. James Ivory. GB/US 1993.
La Rivière du hibo. Robert Enrico. FR 1962.
Schwesterlein. Stéphanie Chuat und Véronique Reymond. CH 2020.
Die Schöpfer der Einkaufswelten. Harun Farocki. DE 2001.

«Shane» und «The Searchers»


Zwei eklatante Bildungslücken gestopft!

The Searchers. John Ford. US 1956.
Sekuritas. Carmen Stadler. CH 2019.
Shane. George Stevens. US 1953.
Sorry to Bother You. Boots Riley. US 2018.
Star Trek: The Motion Picture. Robert Wise. US 1979.
Star Wars: The Rise of Skywalker. J. J. Abrams. US 2019.
Surname Viet Given Name Nam. Surname Viet Given Name Nam. US 1989.
Tenet. Christopher Nolan. GB/US 2020.
Toy Story 4. Josh Cooley. US 2019.
Train to Busan. Yeon Sang-ho. SK 2016.
Vier Fäuste für ein Halleluja. Enzo Barboni. IT 1971.
Uncut Gems. Benny Safdie und Josh Safdie. US 2019.
Die fruchtbaren Jahre sind vorbei. Natascha Beller. CH 2019.
The Vast of Night. Andrew Patterson. US 2019.
Victoria. Sebastian Schipper. DE 2015.
Virgin Stripped Bare by Her Bachelors. Hong Sang-soo. SK 2000.
We Need to Talk About Kevin. Lynne Ramsay. GB/US 2011.
The Wicker Man. Robin Hardy. GB 1973.
You Don’t Nomi. Jeffrey McHale. US 2019.
You Should Have Left. David Koepp. US 2020.

Einen alle anderen überragenden Favoriten gab es für dieses Jahr nicht. Unter den – mehr oder weniger – Neuerscheinungen gehören aber zweifellos Schwesterlein, Sorry to Bother You und Portrait de la jeune fille en feu zu den Highlights. We Need to Talk About Kevin, der schon länger geplant war, ist ebenfalls ziemlich grossartig. Der zum Retter des Kinos hochstilisierte Tenet erwies sich dagegen als einer der schlechtesten Nolan-Filme überhaupt.

Bei den älteren Film habe ich für zwei Seminare grosse Bildungslücken beim Western und beim Dokumentarfilm gestopft, wobei sich wieder einmal zeigte, dass gewisse Filme ganz zurecht als Klassiker gelten.

Folgende Film habe ich 2020 zum wiederholten Mal gesehen:

«Die Abenteuer des Prinzen Achmed»

Ein Wunder von einem Film: Die Abenteuer des Prinzen Achmed

Die Abenteuer des Prinzen Achmed. Lotte Reiniger. DE 1926.
Ace in the Hole. Billy Wilder. US 1951.
Aliens. Aliens. US/GB 1986.
The Babadook. Jennifer Kent. AU 2014.
Back to the Future. Robert Zemeckis. US 1985.
Chronique d’un été. Jean Rouch und Edgar Morin. FR 1961.
The Crazies. George A. Romero. US 1973.
The Curious Case of Benjamin Button. David Fincher. US 2008.
E.T. the Extra-Terrestrial. Steven Spielberg. US 1982.
Fight Club. David Fincher. US 1999.
Il grande silenzio. Sergio Corbucci. IT/FR 1968.
Der Hexer. Alfred Vohrer. DE 1964.
Ice Age. Chris Wedge. US 2002.
In the Mood for Love. Wong Kar-wai. HK/CN 2000.
Inception. Christopher Nolan. US/GB 2010.
Jurassic Park. Steven Spielberg. US 1993.
Mary Poppins. Robert Stevenson. US 1964.
Memento. Christopher Nolan. US 2000.
Minority Report. Steven Spielberg. US 2002.
Monty Python and the Holy Grail. Terry Gilliam und Terry Jones. GB 1975.
Predestination. The Spierig Brothers. AU 2014.
The Prestige. Christopher Nolan. GB/US 2006.
Psycho. Alfred Hitchcock. US 1960.
Rashomon. Akira Kurosawa. JP 1950.
Ratatouille. Brad Bird. US 2007.
Rope. Alfred Hitchcock. US 1948.
The Shining. Stanley Kubrick. US/GB 1980.
The Spanish Prisoner. David Mamet. US 1997.
Stagecoach. John Ford. US 1939.
Triangle. Christopher Smith. GB/AU 2009.
Twelve Monkeys. Terry Gilliam. US 1995.
Unforgiven. Clint Eastwood. US 1992.
The Wild Bunch. Sam Peckinpah. US 1969.
The Wrong Trousers. Nick Park. GB 1993.
Yella. Christian Petzold. DE 2007.

Bücher

Ich halte nicht viel von Vorsätzen fürs neue Jahr, aber für 2020 hatte ich mir vorgenommen, mehr zu lesen, was auch halbwegs geklappt hat. Es sind zwar nicht unendlich viele Titel, aber angesichts der Tatsache, dass ich auch Mammutwerke wie Kim Stanley Robinsons Three-Californias-Trilogie und Dietmar Daths theoretiscer Wälzer Niegeschichte (zu dem im Laufe dieses Jahres noch eine Rezension folgen sollte) geschafft habe, ist die Bilanz gar nicht so schlecht.

In der Sparte erzählende Literatur habe ich folgende Titel gelesen (inklusive abendlicher Vorlesestoff für den Nachwuchs):

Jane Austen: Pride and Prejudice.
Albert Camus: Der Fremde.
Albert Camus: Die Pest.
Raymond Chandler: Farewell, My Lovely.
Dietmar Dath: Niegeschichte: Science Fiction als Kunst- und Denkmaschine.
Per Olov Enquist: Der fünfte Winter des Magnetiseurs.
Hans Fallada: Kleiner Mann, Was Nun?.
Kurt Held: Die rote Zora und ihre Bande.
E.T.A. Hoffmann: Die Elixiere des Teufels.
Kazuo Ishiguro: The Remains of the Day.
Ben Lerner: 10:04.
Francesca Melandri: Alle, außer mir.
E.Y. Meyer: In Trubschachen: Roman Aus Dem Emmental.
Otfried Preußler: Krabat.
Kim Stanley Robinson: The Ministry for the Future.
Kim Stanley Robinson: Three Californias: The Wild Shore, the Gold Coast, and Pacific Edge.
Werner Rohner: Was möglich ist.
W.G. Sebald: Die Ringe des Saturn.
Karlheinz Steinmüller: Andymon.
Robert Louis Stevenson: Die Schatzinsel.
Ulrike Ulrich: Während wir feiern.
Jules Verne: Reise um die Erde in 80 Tagen.

Anders als beim Film stechen in der Sparte Literatur mit The Ministry for the Future und 10:04 für mich zwei Werke heraus. Die beiden Bücher sind sehr unterschiedlich – Nahzeit-SF im Falle Robinsons, metafiktionale Nabelschau bei Lerner –, aber sie haben gemeinsam, dass es sich in beiden Fällen nur noch begrenzt um traditionelle erzählende Literatur handelt.

The Ministry for the Future

«The Ministry for the Future»

Robinson hat schon vor einigen Jahren angedeutet, dass er das Ende seiner Laufbahn als Schriftsteller nahen sieht. Ich weiss nicht, ob The Ministry for the Future sein letzter Roman ist (derzeit arbeitet er an einem Sachbuch über die Sierra Nevada), aber es wäre ein würdiger Abschluss, denn in ihm kommen alle Themen zusammen, die den Autor seit Jahren beschäftigen: Klimawandel, Utopie, das Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft, und die Frage, inwiefern gesellschaftliche Umwälzungen auf die Handlungen einzelner zurückgehen. Obwohl auch in The Ministry for the Future Robinsons typischer Optimismus spürbar wird, ist es wohl sein grimmigster Roman überhaupt. – Lösungen sind möglich, aber sie haben ihren Preis.

Stilistisch ist The Ministry for the Future zweifellos Robinsons radikalster Roman. Der Autor war schon immer ein entschiedener Verfechter des Infodumps als Teil einer spezifischen SF-Ästhetik, in diesem Buch treibt er dieses Prinzip nun auf die Spitze. Zwar gibt es einen zentralen Plot, dieser entpuppt sich bei genauerer Betrachtung aber als relativ handlungsarm (und ist gerade in seinen «Action-Passagen» auch eher schwach). Daneben gibt es zahlreiche Kapitel, in denen einfach Dinge referiert werden. Zum Beispiel wird die Funktion von Zentralbanken erklärt, oder ein Kohlestoff-Atom erzählt «aus seinem Leben».

Das Ergebnis ist eine seltsame Mischung aus Montageroman, Thriller und Sachbuch. Eigentlich ein unmögliches Ding, und ich bin nicht sicher, ob es an Robinsons erzählerischer Meisterschaft oder schlicht daran liegt, dass ich ohne fast alles, was er schreibt, grossartig finde (oder dass zentrale Teile des Romans in Zürich spielen), aber auf jeden Fall hat er es mal wieder geschafft, mich total in  den Bann zu schlagen. Was soll man angesichts eines solchen Endes auch noch gross sagen?

we will keep going, we will keep going, because there is no such thing as fate. Because we never really come to the end.

10:04

Von Ben Lerner habe ich früher bereits Leaving the Atocha Station und The Topeca School gelesen, die mir beide sehr gefallen haben. 10:04 war dann aber eines der Leseerlebnisse, bei denen ich regelmässig vor Begeisterung laut aufgejubelt habe. Ich verzichte hier auf den Versuch, das Buch adäquat beschreiben, und belasse es bei der wenig aussagekräftigen Bemerkung, dass es zugleich eine selbstverliebte Nabelschau und eine sehr kluge Meditation über Kunst, die Zeit und das Leben ist. Und Back to the Future spielt darin eine zentrale Rolle!

Sachbücher

Zwar lese ich im wissenschaftlichen Alltag viel Fachliteratur, es gehört aber zu den Besonderheiten des akademischen Lebens, dass man nur die wenigsten Bücher vollständig von vorne nach hinten liesst. Folgende nichtliterarische Werke habe ich mehr oder weniger vollständig gelesen (meist, aber nicht immer im Zusammenhang mit konkreten Projekten bzw. Artikeln):

Rutger Bregman: Humankind: A Hopeful History.
Barbara Brodman und James E. Doan (Hg.): Utopia and Dystopia in the Age of Trump: Images from Literature and Visual Arts.
Michael Butter: »Nichts ist, wie es scheint«: Über Verschwörungstheorien.
Dietmar Dath: Niegeschichte: Science Fiction als Kunst- und Denkmaschine.
Albert Hofmann: LSD – mein Sorgenkind.
Stanisław Lem: Phantastik und Futurologie I+II.
Farah Mendlesohn: The Pleasant Profession of Robert A. Heinlein.
Uwe Timm: Der Verrückte in den Dünen: Über Utopie und Literatur.
Matthias Uhlmann: Die Filmzensur im Kanton Zürich. Geschichte, Praxis, Entscheide (siehe dazu meine Rezension).
Filippo Ulivieri und Simone Odino: 2001 between Kubrick and Clarke: The Genesis, Making and Authorship of a Masterpiece.

«Niegeschichte»

Ein dickes Ding: Dietmar Daths theoretisches Opus magnum

Interview zu «Star Wars»

Ich würde mich nicht als Star-Wars-Experte und schon gar nicht als Fan des Franchise bezeichnen. Dieser Umstand hat die NZZ am Sonntag aber nicht davon abgehalten, mich anlässlich des Kinostarts von Star Wars: The Rise of Skywalker zu interviewen. Sonderlich tiefe Einsichten gebe ich nicht von mir, aber wenn’s interessiert, dar kann das Interview hier lesen (je nachdem hinter einer Paywall oder nicht).

Forum zu «Blade Runner» in der neuen ZFF

Von Blade Runner und Blade Runner 2049 war an dieser Stelle schon mehrfach die Rede (unter anderem hier und hier). Die neue Ausgabe der Zeitschrift für Fantastikforschung (ZFF) widmet sich nun ebenfalls den Filmen von Ridley Scott respektive Denis Villeneuve.

Die ZFF erscheint seit diesem Jahr nicht nur als kostenlose OpenAccess-Publikation, wir haben auch am Inhalt geschraubt. In der neuen Rubrik «Forum» melden sich jeweils eine Handvoll Autorinnen und Autoren mit kurzen Beiträgen zu einem vorgegebenen Thema zu Wort. Geisteswissenschaftliche Forschung reagiert normalerweise langsam, bis zu einem wichtigen Ereignis oder einem neuen Phänomen ein ein Artikel in einer Zeitschrift – und erst recht einem Sammelband – erscheint, können schnell ein paar Jahre ins Land ziehen. Die Idee hinter der neuen Rubrik ist es, dem ein Stück weit entgegenzuwirken. Im Forum sollen aktuelle Entwicklungen verhältnismässig schnell aufgegriffen und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden. Im Idealfall werden neue Diskussionen lanciert oder bestehende weitergeführt. Entsprechend sind die Beiträge eher kurz gehalten und dürfen auch gerne zugespitzt sein und auf sonst üblichen umfangreichen Literaturverweise verzichten.

Das aktuelle Blade Runner-Forum ist hier verfügbar, im Folgenden die Liste der einzelnen Beiträge:

  • Tobias Haupts: «Science Fiction 1982 | 2017»
  • Barbara Flückiger: «Farbe, Licht, Raum in Blade Runner 2049»
  • Simon Spiegel: «Blade Runner Retroffited»
  • Sherryl Vint: «Vitalität und Fortpflanzung in Blade Runner 2049»
  • Lars Schmeink: «Blade Runner 2049 – Zwischen Nostalgie und Auslöschung»

Origami-Einhorn

Adam Roberts: The Thing Itself

Adam Roberts ist eine jener Gestalten, die uns Normalsterblichen das Gefühl geben, etwas grundlegend falsch zu machen. Roberts ist Professor für Englische Literatur an der University London; offiziell ist die Literatur des 19. Jahrhunderts sein Schwerpunkt. Neben all dem, was er in diesem Bereich veröffentlicht,1 publiziert er regelmässig Wissenschaftliches zu Science Fiction und verwandten Genres2 und schreibt mindestens einen Roman pro Jahr. Dazu betreibt er noch gefühlte 17 Blogs und ist ominipräsent auf Twitter und Facebook. Ach ja, er ist übrigens glücklich verheiratet und Vater zweier (?) Kinder.

Cover von The Thing ItselfIch kannte Roberts bisher nur durch seine wissenschaftlichen Texte und seine diversen Online-Aktvitäten, wollte mir aber schon seit Längerem auch mal einen seiner Romane zu Gemüte führen. Nun habe ich es endlich geschafft, The Thing Itself zu lesen, dessen Beschreibung mich sehr gereizt hat. Was folgt, ist keine ausgewachsene Rezension, sondern eher einige ungeordnete Eindrücke.

Roberts versucht in The Thing Itself etwas ziemlich Verrücktes – er macht Immanuel Kants in der Kritik der reinen Vernunft entwickelte Transzendetalphilosophie als Novum für die SF fruchtbar. Nach Kant ist die Welt – bzw. in seiner Terminologie das Ding an sich – nie direkt erfahrbar; wir sind in unserer Wahrnehmung immer durch die fundamentalen Kategorien unseres Denkens wie Zeit, Raum, Kausalität etc. beschränkt. Diese sind demnach nicht Eigenschaften der Welt, sondern die unhintergehbaren Parameter unseres Zugriffs auf die Welt. Wesen, deren Verstand anders strukturiert ist als unserer, nehmen die Welt zwangsläufig anders wahr.

So weit das erkenntnistheoretische Einmaleins. Roberts fragt nun danach, ob es möglich wäre, eine AI zu bauen, die – da nicht menschlich – nicht diesen Beschränkungen unterliegt und dadurch einen direkteren Zugriff auf das Ding an sich hätte, dieses sogar bis zu einem gewissen Grad manipulieren könnte. Ich bin nicht sicher, ob wir zumindest theoretisch tatsächlich in der Lage sind, eine Intelligenz zu konstruieren, die nicht bis zu einem gewissen Grad anthropomorph ist, aber ein interessanter Ausgangspunkt für eine SF-Geschichte ist das auf jeden Fall.

Der Auftakt des Romans ist grandios: Roberts verbindet seine Kant-Grundidee mit einem deutlich an John Carpenters The Thing angelehnten Antarktis-Setting und einer guten Prise H. P. Lovecraft. Die beiden Forscher Charles und Roy machen am Südpol eine in jeglicher Hinsicht erschütternde Erfahrung, wobei zu diesem Zeitpunkt nicht klar ist, ob sie tatsächlich zum Ding an sich vorgestossen oder mit einer ausserirdischen Intelligenz in Kontakt gekommen sind – oder beidem.

Kurt Russel in The Thing

Was meint Kurt Russell zu Kant?

Hier wie an vielen anderen Stellen wird sichtbar, aus wie vielen Register der Autor schöpft. Roberts kennt die Geschichte der SF ebenso wie philosophische Tradition und verschmilzt diese kunstvoll (im Folgekapitel zeigt sich Roberts dann als H.-G.-Wells-Kenner3).

Im Folgenden hat das Buch eine alternierende Struktur: Der im ersten Teil begonnene Hauptstrang mit dem Protagonisten Charles wechselt jeweils mit anderen abgeschlossenen Episoden ab, die auf den ersten Blick nichts mit dem Rest zu tun haben, sich schliesslich aber zu einem grossen Ganzen zusammenfügen. In diesen Episoden wechselt auch der Erzählstil markant; es gibt einen deutlich von James Joyces Molly-Bloom-Monolog in Ulysses inspiriertes Kapitel, ein Bekenntnis eines misshandelten Dieners im England des 16. (?) Jahrhunderts etc.

Ich habe das Buch in wenigen Tagen gelesen, zwei Dinge haben mich gegen Ende allerdings gestört: Zum einen ist Charles eine relativ passive Hauptfigur, die fortlaufend mit neuen körperlichen Gebrechen konfrontiert ist. Sein zunehmendes Gejammer hat mich zusehends genervt; zugleich wirkt die Action des Plots teilweise forciert und ein bisschen zu bewusst als Gegenstück zu den Passagen, in denen Kant referiert wird.

Ich bin auch kein allzu grosser Fan des Stilmittels, jedes Kapitel in einem anderen Tonfall zu erzählen.4 Natürlich: Wenn das wirklich klappt, ist es schön, aber ich hatte an einigen Stellen den Eindruck, dass Roberts ein Kapitel nur deshalb „ungewohnt“ erzählt, damit die Struktur erhalten bleibt, ohne dass daraus ein echter Mehrwert entstünde. Dies gilt insbesondere für ein Kapitel, das wie ein Drehbuch geschrieben ist; in meinen Augen eine eher sinnlose Übung.

Adam Roberts

Adam Roberts

Trotz dieser beiden Einschränkungen ein interessanter Roman, nicht zuletzt, weil Roberts Überlegungen zu Kant auf eine Art Gottesbeweis hinauslaufen. Die Grundidee: Mit dem Ding an sich existiert etwas, das sich unserer Wahrnehmung teilweise entzieht, das aber in irgendeiner Form lebendig, dynamisch sein muss:

Twenty-first century atheists peer carefully at the world around them and claim to see no evidence for God, when what they’re really peering at is the architecture of their own perceptions. Spars and ribs and wire-skeletons – there’s no God there. Of course there’s not. But strip away the wire-skeleton, and think of the cosmos without space or time or cause or substance, and ask yourself: is it an inert quantity? If so, how could … how could all this?

In den «Acknowledgments» bezeichnet sich Roberts als «an atheist writing a novel about why we should believe in God». Von einem traditionellen Gottesverständnis ist diese numinose, irgendwie auf unsere Welt einwirkende Ding an zwar ziemlich weit weg. Ich weiss zudem nicht, wie originell diese Überlegungen sind, inwieweit Roberts hier bereits existierende Ideen aufnimmt, aber seine Überlegungen sind auch und gerade für einen überzeugten Atheisten wie mich interessant.

Roberts, Adam: H. G. Wells. A Literary Life. Palgrave Macmillan: London 2019.
–: The History of Science Fiction. 2. Aufl. Palgrave Macmillan: London 2016.
–: Science Fiction. 2. Aufl. Routledge: London/New York 2006.
–: The Thing Itself. Gollancz: London 2015.

  1. Roberts ist unter anderem Herausgeber der kritischen Ausgabe von Samuel Coleridges Biographia Literaria, jenem Werk, dem der oft zitierte Ausdruck «willing supsension of disbelief» entstammt.[]
  2. Zum Beispiel die lesenswerte Einführung Science Fiction sowie die materialreiche, in meinen Augen aber nicht völlig überzeugende History of Science Fiction.[]
  3. Roberts ist Vizepräsident der H.G. Wells Society. Seine „intellektuelle Biografie“ H. G. Wells. A Literary Life sollte noch dieses Jahr erscheinen. Der Blog, auf den Roberts zur Vorbereitung des Buches geführt hat, scheint leider nicht mehr zugänglich.[]
  4. In verschiedenen Rezensionen wird The Thing Itself deshalb mit David Mitchells Cloud Atlas verglichen, ein Vergleich, der mir aber nur mässig treffend scheint.[]

Der Monolith der Filmgeschichte

2001: A Space Odyssey von Stanley Kubrick gilt als eines der einflussreichsten Werke der Filmgeschichte. Aber stimmt das auch? Eine Polemik zum 50. Geburtstag.

Das Poster zum Re-Release

Fünfzig Jahre 2001: A Space Odyssey! Ein halbes Jahrhundert und damit eine gute Gelegenheit, um Stanley Kubricks Science-Fiction-Epos all jene Ehrungen angedeihen zu lassen, mit denen filmische Meisterwerke eben so bedacht werden. Dazu gehören die Aufführung einer neuen 70-mm-Kopie am Filmfestival von Cannes, ein Release des neuen 4K-Scans, eine Museumsausstellung und natürlich zahlreiche Publikationen. Das Grundthema, das sich durch all diese Aktivitäten zieht, ist, dass 2001 nicht nur den Science-Fiction-Film, sondern das Kino insgesamt nachhaltig verändert hat. Der Slogan auf dem anlässlich der Neulancierung veröffentlichten Poster bringt es auf den Punkt: «50 years ago one movie changed all movies forever».

Im Zusammenhang mit dem Jubiläum sind im Netz zahlreiche Clips zu finden, in denen die erste Garde Hollywoods erklärt, wie wichtig 2001 für sie war – von George Lucas, Steven Spielberg und Martin Scorsese über James Cameron und Ridley Scott bis Christopher Nolan (siehe z.B. hier). Die Zitate in der Filmgeschichte sind ohnehin Legion: Dark Star, John Carpenters Low-Budget-Erstling, ist in weiten Teilen eine 2001-Parodie. Tim Burton lässt Kubricks schwarzen Monolithen in Charlie and the Chocolate Factory auftreten, ebenso Luc Besson am Ende von Lucy, und wohl kein anderer Film wird in den Simpsons so oft zitiert wie Kubricks Weltraumtrip. 2001 scheint omnipräsent.

Minimaler Einfluss

Ich argumentiere aber, dass der direkte Einfluss des Films entgegen der allgemeinen Einschätzung gering ist. 2001 hat zweifellos viele Filmschaffende begeistert und inspiriert, in dem halben Jahrhundert seit seinem Erscheinen sind aber nur wenige Werke entstanden, die seine echten Neuerungen, jene Punkte, in denen Kubrick wirklich radikal war, tatsächlich aufgenommen haben. Ein Grossteil des Kinos weicht der Herausforderung, die 2001 nach wie vor darstellt, aus.

Die Behauptung, der Einfluss von 2001 sei minimal, scheint auf den ersten Blick absurd. Insbesondere für das Science-Fiction-Genre ist seine Bedeutung vermeintlich evident: Vor 1968 war Science Fiction billig produzierter und anspruchsloser Schrott, danach wurde sie zum Blockbuster-Genre. Diese Darstellung mag spontan überzeugen, bei genauerer Betrachtung präsentieren sich die Dinge aber weniger eindeutig. Wir tendieren dazu, Geschichtsschreibung jeweils auf einige prägnante Daten und Ereignisse zu reduzieren, und obwohl 2001 sicher mit daran beteiligt war, das einstige B-Genre aufzuwerten, stellte der Film diesbezüglich kein singuläres Ereignis dar. Zur Erinnerung: Im gleichen Jahr wie 2001 erschien auch Franklin J. Schaffners Planet of the Apes – ebenfalls eine Grossproduktion, die mit Charlton Heston sogar einen der grössten Stars seiner Zeit vorweisen konnte.

2001 und Planet of the Apes sind diesbezüglich keine spontanen Ausreisser, sondern eher der Kulminationspunkt einer sich über zwei Jahrzehnte hinziehenden Entwicklung, in deren Verlauf die Science Fiction eine allmähliche Aufwertung erfuhr. Eine wichtige Rolle spielt hier der oft unter dem Schlagwort «New Hollywood» zusammengefasste Generationenwechsel im amerikanischen Kino. Ab Ende der Sechzigerjahre entdeckte die US-Filmindustrie die Jugend und dies gleich im doppelten Sinn. Eine neue Generation von Regisseur_ innen drehte nun Filme, die sich primär an Teenager richteten. Der Boom, den die filmische Science Fiction in den Siebzigerjahren erlebte, hat ihren Ursprung nicht zuletzt darin, dass nun Filmemacher_innen ans Ruder kamen, die mit dem Genre aufgewachsen waren und darin mehr als bloss Trash sahen.

Die Geburt der modernen Science Fiction

2001 war mit einem Budget von über zehn Millionen Dollar – ursprünglich waren sechs vorgesehen – eine Prestigeproduktion, die nach anfänglich vernichtenden Kritiken an der Kinokasse enorm erfolgreich war. Die Art und Weise, wie der Film beworben und vertrieben wurde, entsprach dabei noch ganz dem im klassischen Hollywood entwickelten Modell. 2001 wurde, wie es damals üblich war, als sogenannter Roadshow-Release lanciert, als exklusives kulturelles Ereignis in einigen wenigen Grossstädten, und kam erst anschliessend flächendeckend in den Verleih. Mit der heute dominierenden Blockbusterstrategie, bei der es gilt, am Startwochenende möglichst viele Leinwände zu besetzen, hat das nichts gemein. Dieses Vorgehen wurde erstmals 1975 bei Jaws erprobt und zwei Jahre später dann von George Lucas mit Star Wars weitergeführt. Wenn es um Science Fiction als kommerzielles Genre geht, um Dinge wie Vertrieb, Promotion und Merchandising sowie um – wirtschaftlichen wie erzählerischen – Weltenbau, dann ist die Geburt der modernen Science Fiction nicht 1968, sondern 1977, dem Erscheinungsjahr von Star Wars, anzusetzen.

Zurück zu Méliès

Und wie steht es mit den Spezialeffekten, jenem Bereich, für den der Film – und Kubrick – seinen einzigen Oscar erhalten hat? Die Aufnahmen der zu Strauss-Musik tanzenden Raumschiffe, die Szenen in Schwerelosigkeit oder die psychedelische Stargate-Sequenz am Ende des Films werden oft als bahnbrechend bezeichnet. Doch bei einem nicht unwesentlichen Teil der Effekte griffen Kubrick und sein Team auf im Grunde alte Verfahren zurück. Etwa Stop-Motion-Animation, bei der Einzelaufnahmen von Modellen angefertigt und anschliessend in normaler Geschwindigkeit abgespielt werden, sowie Mehrfachbelichtungen, bei denen gewisse Teile des Bildes abgedeckt und erst in einem späteren Durchlauf belichtet werden. Alle Aufnahmen, in denen die Discovery durchs All gleitet, kamen so zustande. Diese Verfahren sind altbekannt und wurden bereits von Georges Méliès eingesetzt. Was 2001 von allen vorangehenden – und auch den meisten nachkommenden – Filmen unterscheidet, sind nicht die grundlegenden Techniken, sondern das unbedingte Beharren auf Qualität. Missriet eine Einstellung, gab es einen Ruckler oder eine Unschärfe – was oft vorkam –, wurde noch einmal gedreht. Und noch einmal und noch einmal. Bis das Ergebnis stimmte.

Dass 2001 zu den wenigen Filmen gehört, dessen Tricktechnik auch Jahrzehnte später noch überzeugt, liegt an dieser Ausdauer und Geduld. Von den Effekten, die das Team um Wally Veevers, Con Pederson und Douglas Trumbull neu für den Film entwickelte, haben sich dagegen nur wenige durchgesetzt. Die Frontprojektion, bei der im Gegensatz zur weitaus häufiger verwendeten Rückprojektion der Hintergrund via eines halbtransparenten Spiegel von vorne auf das Geschehen projiziert wird, war für Kubrick essenziell, da sie ihm ermöglichte, die Savannenszenerie der in prähistorischen Zeiten angesiedelten Dawn-of-Man-Sequenz in der kontrollierten Umgebung eines Studios zu drehen. Nach 2001 wurde Frontprojektion aber nur vereinzelt eingesetzt, letztlich war die Technik einfach zu umständlich. Ähnlich das Slitscan-Verfahren, mit dem Trumbull den Lichtkorridor für die Stargate-Sequenz schuf. Es kam später noch in Star Trek: The Motion Picture, für dessen Effekte ebenfalls Trumbull verantwortlich zeichnete, sowie einer Handvoll weiterer Filme zum Einsatz, setzte sich aber ebenfalls nicht auf breiter Front durch.

Das Gleiche gilt für die zwölf Meter hohe und fast dreissig Tonnen schwere Zentrifuge, die Kubrick bauen liess, um die verblüffenden Szenen, in denen Menschen scheinbar an der Decke entlanggehen, zu drehen. Auch hier gilt: Vom Prinzip her eigentlich ganz einfach und auch nicht völlig neu – Fred Astaire tanzte auf diese Weise schon in Stanley Donens Royal Wedding von 1951 an der Decke –, aber kaum ein Produzent geht das Wagnis ein, für eine derart hirnrissige Konstruktion fast ein Zehntel des Budgets auszugeben. Nach 2001 kehrte die Science Fiction bis zum Durchbruch der digitalen Tricktechnik denn auch zur Konvention zurück, dass auch in Raumschiffen eine (auf unerklärte Weise künstlich erzeugte) Schwerkraft herrscht.

Die riesige Zentrifuge am Set von 2001

Keine konkrete Vorstellung

In der Art und Weise, mit der Kubrick seine Mitarbeiter_innen dazu antrieb, stets noch bessere Resultate zu liefern, kommt eine der am wenigsten beachteten, aber wahrscheinlich aussergewöhnlichsten Aspekte des Films zum Vorschein: die gänzlich unorthodoxe Organisation der Produktion. Dass Kubrick ein Perfektionist war, ist altbekannt. Entgegen der weitverbreiteten Vorstellung war er aber kein Regisseur, der sich einen Film ausdachte, den es dann möglichst getreu seiner Vision umzusetzen galt. Ganz im Gegenteil hatte er oft keine konkrete Vorstellung, wie eine Szene, eine Kulisse oder ein Kostüm aussehen sollte, er wusste meist bloss, was er nicht wollte. Sein Team sah sich regelmässig vor die Aufgabe gestellt, neue, unverbrauchte Ideen zu entwickeln, die dann vom Meister begutachtet und oft für nicht befriedigend befunden wurden.

2001 wurde unter anderem auch als teuerster Experimentalfilm aller Zeiten bezeichnet. Dieses Label ist insofern treffend, als die Produktion überhaupt nicht dem in der Filmindustrie üblichen Muster folgte. Normalerweise sind Hollywood-Grossproduktionen streng hierarchisch aufgebaute Unternehmen mit zahlreichen Abteilungen, in denen hoch spezialisierte Fachleute unter Aufsicht ihrer Departmentchefs arbeiten. Vieles wird delegiert und von der Regie ferngehalten, damit sich diese auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren kann. Die Produktion von 2001 zeichnete sich dagegen durch extrem flache Hierarchien aus, und am Ende musste praktisch alles von Kubrick persönlich gutgeheissen werden, der aber selten konkrete Vorgaben machte, sondern stattdessen alles, was ihn nicht restlos überzeugte, zur Verbesserung zurückschickte. Mit anderen Worten: Die Produktion war ein fortlaufendes, für alle Beteiligten äusserst aufreibendes «work in progress». Maskenbildner, Ausstatterinnen und Spezialeffektzauberer machten regelmässig die Erfahrung, dass Wochen und Monate harter Arbeit von Kubrick in wenigen Sätzen für nichtig und wertlos erklärt wurden.

Arthur C. Clarke und Stanley Kubrick am Set von 2001

Diese iterative Arbeitsweise beschränkte sich nicht nur auf «Äusserlichkeiten» wie Affenkostüme oder Raumschiffmodelle, sondern betraf auch den inhaltlichen Kern des Films. Kubrick hatte in einer intensiven Kollaboration mit dem britischen Science-Fiction-Schriftsteller Arthur C. Clarke eine Story entwickelt, die die Grundlage des Films bildete. Diese war aber keineswegs eine Bibel, an die sich alle Beteiligten eisern zu halten hatten, sondern diente, ähnlich wie in einem Theaterworkshop, eher als Ausgangspunkt, von dem aus man in ganz unterschiedliche Richtungen gehen konnte.

Zwei Tonnen Plexiglas

So waren für den Anfang des Films ursprünglich Interviewsequenzen vorgesehen, in denen sich namhafte Wissenschaftler zur Möglichkeit ausserirdischen Lebens äusserten. Diese Interviews wurden auch gefilmt, schliesslich aber für unnötig befunden. Der enigmatische schwarze Monolith, der heute als Pars pro toto für das Rätsel des Films steht, war ebenfalls nicht von Anfang an so geplant. In frühen Drehbuchfassungen sowie in Clarkes Roman ist der Monolith eine Art überdimensionaler Fernseher, der den Hominiden den Gebrauch von Werkzeugen lehrt. Dass dies filmisch wenig interessant ist, war Kubrick bald klar, was an Stelle des Riesenfernsehers treten sollte, blieb aber lange offen. Der Regisseur liess zahlreiche Modelle bauen und sogar einen vier Meter hohen und zwei Tonnen schweren Plexiglaskubus giessen, bis der Production Designer Tony Masters schliesslich die simpelste aller Lösungen, einen komplett schwarzen Quader, vorschlug.

Der Film ist heute auch dafür berühmt, dass er ausschliesslich bereits bestehende Musikstücke verwendet, eine Vorgehensweise, die damals in Hollywood höchst unüblich war. Geplant war auch das nicht; vielmehr war Alex North, der bereits die Musik für Spartacus geschrieben hatte, damit beauftragt worden, einen Score zu komponieren. Kubrick entschied sich dann aber dafür, die Musikstücke, die ursprünglich nur als temporäre Tracks für den Schnitt gedacht waren, für die Schlussfassung beizubehalten.

Ein Filmdreh ist enorm teuer. Deshalb sind bei den meisten Filmen ab dem Fallen der ersten Klappe kaum noch grössere Änderungen möglich. Dazu fehlt schlicht die Zeit, sprich: das Geld. Kubrick hingegen war stets der Ansicht, dass es unsinnig sei, ausgerechnet für die alles entscheidende Phase am wenigsten Zeit einzuplanen. Seine legendär langen Drehs legen beredtes Zeugnis davon ab, wie sehr ihm daran gelegen war, auch die Drehphase möglichst offenzuhalten und nicht bloss ein von vornherein festgelegtes Muster zu vollenden.

Zahlreiche zentrale Szenen von 2001 wurden so erst während der Produktion entwickelt. Der berühmte Match-Cut vom herabfallenden Knochen auf einen im All kreisenden Satelliten, das von HAL durch Lippenlesen abgehörte Gespräch der beiden Astronauten Poole und Bowman, die Schlussszene im rätselhaften weissen Raum – all diese ikonischen Momente entstanden während des Drehs, oft auf Anregung oder in Auseinandersetzung mit einem enthusiastischen Team.

Stanley Kubrick auf dem Set der Schlussszene von 2001

Unerreichte Offenheit

Es gehört heute fast zum guten Ton, anspruchsvolle Science-Fiction-Filme (und darunter fällt fast alles, was das Publikum ein bisschen herausfordert) mit 2001 zu vergleichen. Doch was die «philosophischen» Science-Fiction-Filme von Contact über Sunrise bis Interstellar und Lucy von ihrem grossen Vorbild unterscheidet, ist ihre fehlende Offenheit. 2001 erklärt nichts, Contact dagegen muss die Fahrt von Jodie Forster durch eine interstellare Metro ebenso ausbuchstabieren wie Interstellar den Sturz des Astronauten in den vierdimensionalen Tesserakt. Damit büssen die Filme just jene rätselhafte Qualität ein, die 2001 ausmacht.

Dabei war auch diese Offenheit nicht so geplant. Ursprünglich hätten die Ausserirdischen, deren Existenz nun nur indirekt angedeutet wird, auftreten sollen. Zudem war eine Voice-over vorgesehen, die unmissverständlich erklärt hätte, was es mit dem Monolithen auf sich hat: Dass das rätselhafte Artefakt im Grunde nichts anderes ist als eine intergalaktische Alarmanlage, die immer, wenn die Menschheit weit genug ist, den nächsten evolutionären Schritt auslöst. So ausformuliert klingt das reichlich banal. Im Laufe der Produktion wurde das auch Kubrick klar, und er verzichtete schliesslich auf alles Eindeutige und Erklärende.

Mitte der Sechzigerjahre hatte sich Kubrick mit Spartacus, Lolita und Dr. Strangelove als innovativer und zugleich kommerziell erfolgreicher Regisseur etabliert. Trotz dieser Erfolge erstaunt die Freiheit, mit der er bei 2001 walten konnte. Effektiv machte er vier Jahre lang, was er wollte, ohne dass ihm jemand ernsthaft reinreden konnte. Dies war primär MGM-Chef Robert O’Brien zu verdanken, der Kubrick die ganze Zeit hindurch den Rücken freihielt und damit fast die Existenz seines Studios aufs Spiel setzte. Und wahrscheinlich wird gerade hierin deutlich, wie wenig Hollywood dem Vorbild von 2001 gefolgt ist. Dass ein Studiochef derartiges Vertrauen und Risikofreude zeigt, scheint im Zeitalter der Remakes, Prequels und Riesen-Franchises schlicht undenkbar.

Erschienen im Filmbulletin 6/2018.

Literatur zu 2001: A Space Odyssey

Arthur C. Clarke: 2001: A Space Odyssey. New York 1968.

Der Roman, den Clarke auf der Basis des gemeinsam mit Kubrick verfassten Drehbuchs schrieb, ist sein erfolgreichs­ter, wenn auch nicht unbedingt sein bester. Wem der Film zu rätselhaft ist, erhält hier die nötigen Erklärungen.

Dan Richter: Moonwatcher’s Memoir. A Diary of 2001: A Space Odyssey. New York 2002.

Der Pantomime Dan Richter war ursprüng­lich bloss engagiert worden, um die Primatensequenz zu Beginn des Films zu choreografieren, am Ende arbeitete er über ein Jahr an dem Film mit. Sein Buch enthält die ausführlichsten Beschreibun­gen von Kubricks ungewöhnlicher und extrem fordernder Arbeitsweise.

Piers Bizony: The Making of Stanley Kubrick’s 2001: A Space Odyssey. Köln 2015.

Das vom Kubrick Estate abgesegnete Making­-of­-Buch zum Film ist sehr ausführlich und reich bebildert. Nach der limitierten, fast neun Kilogramm schweren Erstausgabe hat Taschen mittlerweile eine erschwingliche «Volksausgabe» nachge­legt. Was sich nicht geändert hat, ist das absurde Hochformat, das zahlreiche Abbildungen ruiniert (siehe meine Rezension).

Christopher Frayling: The 2001 File. Harry Lange and the Design of the Landmark Science­ Fiction Film. London 2016.

Harry Lange ist einer der unbesungenen Helden von 2001. Der Production Designer, der seine Karriere unter Wernher von Braun bei der NASA begann, trug entscheidend zum realisti­ schen Look des Films bei. Der aufwendig gemachte Band enthält zahlreiche Skizzen und Entwürfe.

Michael Benson: Space Odyssey: Stanley Kubrick, Arthur C. Clarke, and the Making of a Masterpiece. New York 2018.

Ein weiteres Making­-of-­Buch, das gegenüber dem von Bizony erstaunlich viel neues Material enthält und ausführ­lich auf die Beiträge der zahlreichen Mitarbeiter_innen eingeht. Ein Schwer­punkt liegt auf der nicht immer rei­bungslosen Zusammenarbeit mit Clarke.

I have seen it

Wie immer gilt ein genereller Spoilervorbehalt.1 Für alle, die Blade Runner und Blade Runner 2049 noch nicht gesehen haben, dürften die folgenden Ausführungen aber ohnehin nicht sonderlich interessant sein.

Blade Runner ist ein Film, mit dem mich eine komplizierte Hassliebe verbindet. Im Schlusswort meiner Dissertation Die Konstitution des Wunderbaren beschreibe ich, wie der Film mein Leben verändert hat, und so übertrieben das klingen mag, ist es doch keineswegs falsch. Als ich den Film vor fast einem Vierteljahrhundert zum ersten Mal sah, hat er mich regelrecht erschlagen und mir zum ersten Mal wirklich klar gemacht, was Kino alles kann. Meine Begeisterung für das Medium Film hängt wesentlich mit Blade Runner zusammen (und mit Twin Peaks, aber das ist eine andere Geschichte).

Seither ist einiges geschehen. Ich habe den Film mittlerweile so oft gesehen und vor allem so viel über ihn gelesen, dass ich ihn kaum noch ertrage. Manche Manierismen des Films sind schlecht gealtert, und seit mich meine bessere Hälfte auf die totale Humorlosigkeit des Films aufmerksam gemacht hat, stehe ich auch seinem Pathos kritischer gegenüber.

Rutger Hauer

«Like tears in the rain.» – Rutger Hauer trägt in Blade Runner dick auf …

Und nun also Blade Runner 2049. Die Kritiken sind, soweit ich es überblicke, überwiegend positiv, was mich doch etwas überrascht. Der Film ist zwar deutlich besser, als ich befürchtet habe – insbesondere die ersten 30–45 Minuten fand ich sehr gelungen –, weist in meinen Augen aber auch offensichtliche Schwächen auf. Er ist deutlich zu lang, im Plot gibt es massive Löcher und der Text, den man Jared Leto für seine Rolle als Bösewicht Wallace verpasst hat, grenzt schon fast an Körperverletzung.2

Jared Leto

… doch Jared Leto in Blade Runner 2049 ist viel schlimmer.

In diesem Eintrag möchte ich aber nicht den Film rezensieren, sondern einen Aspekt beleuchten, der in meinen Augen viel darüber aussagt, wie sich das populäre Kino in den vergangenen drei Jahrzehnten verändert hat.

Blade Runner ist ein Film mit einer äusserst chaotischen Produktionsgeschichte, der bei Erscheinen nur mässig Erfolg hatte und dann über die Jahre hinweg, quasi unter der Hand, allmählich zum Kultfilm wurde. Gründe dafür gibt es mehrere. Die schiere visuelle Brillanz, das grossartige Set Design, die Effekte, das Licht – all das sind sicher wichtige Faktoren. Ebenso wichtig ist aber auch, dass sich Blade Runner als äusserst fruchtbarer Boden für Interpretationen aller Art erwiesen hat. Zu kaum einem Film wurde so viel geschrieben – sowohl von Wissenschaftlern wie auch von Fans.3

Manche dieser Deutungen sind offensichtlich im Film angelegt. Dass der Film auf ganz verschiedenen Ebenen mit dem Augen-Motiv spielt, ist kein Zufall. Dass Roy Batty im Schlusskampf als Jesus-Figur erscheint, ebenfalls. Anderes, wie zum Beispiel die variierende Zahl der Replikanten, die Deckard jagen muss, ist das Ergebnis der chaotischen Produktion (und wurde deshalb im 2007 erschienenen Final Cut auch ‹korrigiert›).

Origami-Einhorn

Die Papierfigur des Anstosses: Was bedeutet das Origami-Einhorn am Ende von Blade Runner?

Was diese Dinge alle gemeinsam haben, ist, dass sie für den eigentlichen Plot weitgehend bedeutungslos sind. Das gilt selbst für die Frage aller Fragen, die, ob Deckard selbst ein Replikant ist. Zweifellos hat es auf die Interpretation des Films Einfluss, ob dessen Hauptfigur ein Mensch oder ein Replikant ist. Ein zentrales Thema von Blade Runner ist schliesslich, was den Mensch zum Menschen macht, und wenn der Replikantenjäger selbst kein Mensch ist, wird die ganze Versuchsanordnung noch komplizierter. Auf den Plot wirkt sich die Erkenntnis, dass Deckard ein Replikant ist – wenn man sich denn dieser Interpretation anschliessen will –, aber kaum aus. Diese Einsicht ist kein Plottwist, nichts, was gespoilert werden könnte. Sie ist – wie auch diverse andere Interpretationsansätze – in erster Linie Subtext, der den Film anreichert, den Plot aber kaum tangiert.

Blade Runner 2049 funktioniert diesbezüglich ganz anders. Eines der – wenn nicht sogar das – zentralen Rätsel des Films ist, ob die von Ryan Gosling gespielt Hautpfigur K der Sohn von Deckard und Rachael ist. Aber auch über dieses Geheimnis hinaus sind die Anspielungen und Bezüge sehr viel direkter in die Handlung integriert. Die wenigsten Zuschauer von Blade Runner dürften beim ersten Schauen gemerkt haben, dass die Seriennumer einer synthetischen Schlangenhaut, die Deckard in einer Szene vorliest, nicht mit der Zahl identisch ist, die kurz im Bild zu sehen ist (wobei auch dieser ‹Fehler› im Final Cut korrigiert wurde). Wenn K im Sequel von einer anderen Figur eine Ausgabe von Nabokovs Roman Pale Fire in die Hand gedrückt kriegt, geschieht das hingegen sehr viel weniger versteckt.

Trojaner

Bereits als Fan-Artikel erhältlich: Das ‹neue Einhorn› aus Blade Runner 2049.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es geht mir nicht darum, was diese Dinge im Einzelnen bedeuten könnten oder ob die eine Variante nun eleganter oder besser ist als die andere, sondern darum, dass hier ganz verschiedene Arten des Erzählens sichtbar werden. Scotts Film folgt einem relativ gradlinigen Krimi- resp. Action-Plot, der mit zahlreichen – ob absichtlich gesetzten oder zufällig entstandenen – Momenten angereichert ist, die zur eingehenderen Interpretation einladen. Bei Villeneuve bilden die Twists sowie Aufforderungen zum Kombinieren und Ausknobeln dagegen einen integralen Teil des Plots.

Der Film ist diesbezüglich kein Einzelfalls, sondern typisch für das Mainstream-Kino der letzten 20 Jahre. Steven Johnson argumentiert in seinem Büchlein Everything Bad is Good for You, dass die Popkultur in den vergangenen Jahrzehnten viel komplexere Formen angenommen hat und dass heute jede Nachmittagsserie deutlich mehr von ihrem Publikum verlangt als noch in den 1950er-Jahren. Man kann sich darüber streiten, ob dieser Befund so allgemein gilt, wie Johnson behauptet, aber dass zumindest gewisse Segmente der populären Kultur heute von einem deutlich aktiveren Zuschauer ausgehen als noch vor 30 Jahren, ist wohl unbestritten. Hauptsächlich verantwortlich für diese Veränderung sind veränderte Rezeptionsgewohnheiten, die Medien wie DVD und später VoD und Online-Medien mit sich brachten.4 Aber ein Stück weit hängt diese Entwicklung wohl auch damit zusammen, dass nicht zuletzt Filme wie Blade Runner gezeigt haben, dass es Zuschauer gibt, die sich für diese Art von Deutungsakrobatik begeistern können. In gewissem Sinne steht Blade Runner 2049 damit am – sehr vorläufigen – Endpunkt einer Entwicklung, die unter anderem mit Blade Runner ihren Anfang nahm.

Ryan Gosling und Ana de Armas

Träumen Replikanten von holographischen Geliebten?

 

Update: Es gibt noch einen anderen Aspekt, in dem deutlich wird, wie sehr sich das filmische Erzählen von Blade Runner zu Blade Runner 2049 gewandelt hat. Scotts Film hatte zwar zumindest im Director’s Cut ein offenes Ende, war aber nicht auf eine Fortsetzung ausgerichtet. Der neue Film bietet bietet dagegen gleich mehrer Ansatzpunkte für ein Sequel. Nicht nur bleibt mit der Figur von Wallace der Oberbösewicht am Leben, es wird zudem reichlich spät und ohne echte erzählerische Motivation ein komplett neuer Handlungsstrang eingeführt, der sich um einen bevorstehenden Aufstand der Replikanten dreht. Dieser Subplot führt allerdings komplett ins Leere, und es deutet einiges darauf hin, als sei er primär dazu da, um die Geschichte in einem weiteren Film fortzuspinnen.5

Blade Runner 2049 bereitet aber nicht nur mögliche Fortsetzungen vor, sondern verändert darüber hinaus auch die Vergangenheit. Denn wie wir von Wallace erfahren, war es kein Zufall, dass sich Deckard und Rachael im ersten Teil kennenlernten; die ganze Liebesgeschichte zwischen den beiden war vielmehr Teil eines Plans, mit dem Replikanten-Bauer Tyrrell die Zeugung des ersten Replikanten-Babys in die Wege leitete. Dass diese Erklärung überhaupt keinen Sinn ergibt und der Handlung des ersten Films komplett zuwider läuft, sei hier nur am Rande erwähnt. Im Kontext meiner übrigen Ausführungen ist relevanter, dass Blade Runner 2049 auch mit diesem Story-Retroffiting voll im Trend liegt. Hollywood konzipiert gerade bei Grossproduktionen immer weniger einzelne Filme, sondern lieber ganze Franchises oder am besten komplette erzählerische Universen. Das Marvel Cinematic Universe ist hier das erfolgreichste Beispiel, DC versucht mit weniger Glück Ähnliches, und natürlich sind auch die jüngsten Star-Wars-Filme ein Beispiel für diesen Trend. Selbst die James-Bond-Reihe macht mit. Waren bisher alle Filme mit 007 abgeschlossene Abenteuer, die sich nur minimal aufeinander bezogen, baut Spectre eine nachträgliche Chronologie, die gegen jede Logik alle Filme mit Daniel Craigs Bond in ein erzählerisches Kontinuum zwängt.6 Das Gleiche – und ähnlich wenig überzeugend – versucht nun auch Blade Runner 2049.

  1. Grundsätzlich kann hier jede Pointe, jeder Twist, jede Überraschung verraten werden. Wer an Spoilerphobie leidet, sollte die Einträge zu aktuellen Filmen somit besser meiden.[]
  2. Philip-K-Dick-Koryphäe Andrew Butler hat zum Film gebloggt und seine Einschätzung deckt sich im Wesentlichen mit meiner.[]
  3. Siehe zur Bedeutung von Blade Runner auch meinen Essay für die Filmzeitschrift Frame.[]
  4. In meiner Spoiler-Kolumne für das Filmbulletin habe ich mich mehrfach mit dieser Frage beschäftigt. Siehe dazu etwa den Artikel «Eine kurze Geschichte der Spoilerphobie».[]
  5. Da Blade Runner 2049 in den USA schlecht gestartet ist, stehen die Chance für eine potenzielle Fortsetzung allerdings nicht sonderlich gut.[]
  6. Siehe dazu auch meine Rezension des Films.[]

Fremder Klassiker: Zu Darko Suvins «Metamorphoses of Science Fiction»

Erschienen in der Zeitschrift für Fantastikforschung 2/2016.

Mit wissenschaftlichen Klassikern hat es eine ganz eigene Bewandtnis; Klassiker, das sind auch im akademischen Geschäft nicht selten jene Titel, auf die sich zwar alle beziehen, die aber kaum jemand wirklich gelesen hat, deren Kenntnis sich meist auf einige wenige immer wieder zitierte Passagen beschränkt. In dieser Hinsicht – aber nicht nur in dieser – ist Darko Suvins Metamorphoses of Science Fiction (MoSF) ein ganz großer Klassiker. Die von Suvin eingeführten Begriffe Novum und kognitive Verfremdung gehören unbestritten zum Kernbestand des kritischen Vokabulars in der SF-Forschung und die entsprechenden Abschnitte werden auch mit schöner Regelmäßigkeit zitiert. Wer sich kritisch zum Urvater der SF-Forschung positionieren möchte, führt zudem gerne noch einen seiner berüchtigten Ausfälle gegen minderwertige Vertreter des Genres an. Darüber hinaus sind die MoSF, die fast gleichzeitig mit der englischen Ausgabe unter dem Titel Poetik der Science Fiction auch auf Deutsch erschienen sind, aber weitgehend unbekannt. Zitiert wird ausschließlich aus dem ersten Teil, in dem Suvin seine Poetik entwickelt. Der doppelt so lange zweite Teil, der sich mit der Geschichte der SF beschäftigt, wurde, wie Suvin selbst im Vorwort der Neuauflage feststellt, von der Forschung dagegen weitgehend ignoriert. Dieses Schicksal teilen die MoSF übrigens mit dem anderen großen Klassiker unseres Feldes: Auch aus Tzvetan Todorovs Einführung in die fantastische Literatur werden mit schöner Regelmäßigkeit die stets gleichen Kapitel angeführt respektive ignoriert.

Mit ein Grund für diese sehr selektive Rezeption dürfte sein, dass Suvins Buch lange vergriffen war; sowohl auf Englisch wie auch auf Deutsch sind die MoSF seit Jahren nur noch antiquarisch erhältlich, mittlerweile zu recht stolzen Preisen. Zumindest für den englischsprachigen Markt erscheint nun in der Reihe Ralahine Utopian Studies respektive in der Unterreihe Ralahine Classics, in der vergangenes Jahr bereits Tom Moylans Demand the Impossible wieder aufgelegt wurde, eine Neuauflage. Die von Gerry Canavan herausgegebene Ausgabe enthält nicht nur eine ausführliche Einleitung des Herausgebers sowie ein neues Vorwort des Autors, sondern auch drei neuere Artikel Suvins.

Suvins Verfremdungskonzept ist, wie bereits erwähnt, nach wie vor zentral für die SF-Forschung; entsprechend wurde es in der Vergangenheit bereits ausführlich diskutiert, kritisiert und erweitert.1 Diesem Pfad möchte ich in diesem Review Essay nicht noch ein weiteres Mal folgen; zwar sollen Suvins Verständnis von Verfremdung und dessen Probleme skizziert werden, darüber hinaus ist es aber mein Anliegen, die MoSF umfassender zu würdigen und statt den in der Vergangenheit oft beleuchteten Passagen auch die weniger bekannten Teile in den Blick zu nehmen.

Buchover

Die Neuausgabe der «Metamorphoses».

Im Vorwort zur Erstausgabe bezeichnet sich Suvin nicht unbescheiden, aber durchaus zurecht als „pathbreaker“ (9); die MoSF waren vielleicht nicht der allererste, aber sicher der bis dato ambitionierteste Versuch, SF als einen der wissenschaftlichen Beschäftigung würdigen Gegenstand zu etablieren. Zu diesem Zweck bedient sich Suvin zweier gegenläufiger Strategien. Einerseits kritisiert er schon auf der ersten Seite die etablierte Literaturwissenschaft dafür, dass diese 90 Prozent der existierenden Literatur, „the literature that is actually read“ (1), ignoriere. Dieses Plädoyer für eine Beschäftigung mit populären Gegenständen wird aber sogleich unterlaufen, denn nur wenige Zeilen weiter, ist zu lesen, „90 or even 95 per cent of SF production is strictly perishable stuff“ (1). Der Widerspruch ist offensichtlich und wird noch dadurch unterstrichen, dass Suvin gleich zweimal von 90 Prozent spricht – eine Zahl, die in der Folge noch ein paarmal auftaucht –, ohne auch nur ansatzweise zu erklären, wie er zu dieser Einschätzung gelangt. Diese widersprüchliche Argumentation ist symptomatisch für sein Vorgehen – er will SF als wertvolle Literatur adeln, meint damit aber beileibe nicht die gesamte SF, sondern lediglich einen kleinen, von ihm definierten Kanon. Dieser normative Ansatz, der dem Ansinnen, „die Literatur, die tatsächlich gelesen wird“ ernst zu nehmen, zuwiderläuft, steht im Zentrum seines Projekts. Echte SF hat „ethico-political liberating qualities“ (100); es ist kritische – was für Suvin gleichbeutend ist mit marxistischer – SF. Oder wie es Canavan in seiner Einleitung formuliert: „the relationship between SF (as Suvin defines it) and the larger political leftism is in some sense unavoidable“ (xxxiii).

Auf den Vorwurf, dass er normativ verfahre, reagiert Suvin in seinem neuen Vorwort mit dem Argument, dass es ohne Normen unmöglich sei, einen Gegenstand – in diesem Fall also die SF – überhaupt zu erkennen. Freilich werden hier sehr unterschiedliche Dinge mit dem Begriff „Norm“ bezeichnet – nämlich erkenntnistheoretische Kategorien und Wertungen. Dennoch ist Suvins Antwort wohl nicht bloß als rhetorische Finte gedacht, denn für ihn stellen Definition und Wertung ausdrücklich nicht verschiedene Tätigkeiten dar, sondern fallen zusammen. Richtige SF ist für ihn auch immer gute SF – und umgekehrt. Für Suvin steht letztlich viel mehr auf dem Spiel als bloß eine Taxonomie, denn gute SF ist „an educational literature […] irreversibly shaped by the pathos of preaching the good word of human curiosity, fear, and hope“ (50). Aus der Gleichsetzung von Definition und Wertung folgt auch eines seiner Axiome für die Erforschung der SF: „the genre has to be and can be evaluated proceeding from its heights down, applying the standards gained by the analysis of its masterpieces“ (49). Dass ein Großteil der als SF verkauften Literatur den so gewonnenen Standards nicht gerecht wird, ist kein Grund, das Vorgehen zu ändern. „On the contrary, the no doubt very important empirical realities of SF must […] be obstinately confronted with the as important historical potentialities of the genre“ (2). Nicht das real existierende Genre ist von Interesse, sondern das „generic telos“, dessen Prinzipien Suvin bloßlegen will und das gegen die tatsächlich veröffentlichte Literatur verteidigt werden muss.2

Dass die Geschichte eines Genres als Abfolge einiger weniger Meisterwerke geschrieben wird, ist in der Genreforschung oft zu beobachten. Versteht man ein Genre als ein Set von – durchaus wandelbaren – Konventionen, die von Produzenten und Rezipienten geteilt werden, ist dieses Vorgehen freilich problematisch. Denn die mittelmäßigen Texte, die in ihrer Masse die Konventionen festigen, sind in diesem Prozess mindestens so wichtig wie die Meisterwerke. Letztere sind hingegen meist jene Beispiele, die aus dem Meer der Durchschnittlichkeit herausragen, die die Konventionen unterlaufen, erweitern, modifizieren, also im Grunde just die untypischen Vertreter eines Genres. Für Suvin dagegen wird die überwiegende Mehrheit dessen, was als SF verkauft wird, dem „generic telos“ nicht gerecht und fällt damit aus dem Genre heraus. Ein Großteil der SF, so sein Befund, ist in Wirklichkeit gar nicht SF. Unabhängig davon, ob man seine Einschätzung, was gute respektive schlechte SF ausmacht, teilt, bleibt die Frage, wie mit diesem Genre-Niemandsland, in dem sich die minderwertigen Beispiele tummeln, aus genretheoretischer Sicht zu verfahren ist.

Suvin ist sich durchaus bewusst, dass sein Verständnis von SF nicht mit dem übereinstimmt, was der Markt respektive die Leser unter diesem Label verstehen. Er stellt sogar Überlegungen dazu an, ob es sinnvoll sei, das, was er in den MoSF beschreibt, als ‚Science Fiction‘ zu bezeichnen. Die Gefahr, dass „the use of ‚science fiction‘ confuses the whole genre with the twentieth century SF from which the name was taken“ (26), ist ihm bewusst, letztlich überwiegen in seinen Augen aber die Vorteile der etablierten Bezeichnung. Obwohl der historische Teil der MoSF gut 200 Seiten umfasst, ist die suvinsche SF somit kein historisches Genre, sondern eher ein allgemeines Prinzip, das sich in unterschiedlichen Textformen niederschlagen kann, wobei die moderne US-amerikanische SF nicht unbedingt der ideale Ort für dieses Prinzip zu sein scheint.

Darko Suvin

Darko Suvin in einer Aufnahme von 2016.

Das eigentliche Problem von Suvins Ansatz ist noch nicht einmal, dass er sich bei seiner Definition von sehr klaren, erklärtermaßen politisch motivierten Vorlieben leiten lässt, sondern dass sein Genrekonzept nicht konsistent ist. Obwohl er Genres als „socioaesthetic and not metaphysical entities“ (29) versteht – und somit als historisch wandelbare Erscheinungen – behandelt er sie nicht als pragmatische Gebilde, die von ihren ‚Benutzern‘ im Gebrauch fortlaufend neu- und umdefiniert werden, sondern als mehr oder weniger feste Einheiten, die sich anhand klarer Kriterien – in seinem Fall des Begriffspaars Verfremdung und Erkenntnis – definieren lassen.

Diese Herangehensweise führt regelmäßig zu seltsamen Ergebnissen, etwa wenn er anhand der Gegensatzpaare „Naturalistic/Estranged“ und „Cognitive/ Noncognitive“ eine Matrix mit vier Feldern erstellt, in die er dann die verschiedenen Genres einteilt (33). Die gesamte „realistische Literatur“ ist naturalistisch und kognitiv, Fantasy3 und Märchen dagegen verfremdet und nicht-kognitiv. SF schließlich ist sowohl verfremdet als auch kognitiv. Bleibt das vierte Feld der naturalistischen nicht-kognitiven Literatur. Hierfür führt Suvin kurzerhand die Kategorie der „subliterature of ‚realism‘“ ein, unter die, wie er knapp ausführt, „from Renaissance street-ballads to contemporary kitsch“ (33) alles Mögliche falle. Diese „Subliteratur des Realismus“ muss er ad hoc aus dem Hut zaubern, weil es ihm sein vermeintlich so klares und logisches Klassifikationssystem nun einmal so vorgibt. Eine sinnvolle Kategorie stellt sie nicht dar und nicht einmal Suvin selbst nimmt den Begriff wieder auf.4

Suvin ist in dieser Hinsicht ganz ein Kind seiner Zeit, sprich des Formalismus respektive des aufstrebenden Strukturalismus. Ganz im Sinne dieser Ansätze muss die Literaturwissenschaft auch bei Suvin weg von subjektiver Gefühlsduselei und ihren Gegenstand stattdessen mit harten, quasi-naturwissenschaftlichen Instrumenten erfassen. Auch diesbezüglich zeigen sich Parallelen zwischen den MoSF und Todorovs Einführung; in beiden Fällen soll ein bislang zu wenig beachtetes Genre mit den neuesten theoretischen Werkzeugen vermessen werden, und in beiden Fällen führt das vermeintlich systematisch-rationale Vorgehen zu fundamentalen inneren Widersprüchen. Im Unterschied zu Todorov ist Suvin aber selbst dann präskriptiv, wenn er vermeintlich nüchterne Einteilungen vornimmt. Seine Vierermatrix gibt nicht bloß eine Kategorisierung nach bestimmten formalen Prinzipien wieder, sondern ist zugleich ein Werturteil. Texte, die zur Subliteratur des Realismus gehören, sind von vornherein unbrauchbar.

Für einen Formalisten – in späteren Texten beharrt er teilweise regelrecht trotzig auf dieser Bezeichnung – geht Suvin erstaunlich wenig auf die literarische Form ein; ein Großteil seiner Analysen bewegt sich auf einer inhaltlichen Ebene, konkrete literarische Verfahren geraten nur selten in den Blick. Dennoch erklärt sein zweifellos vorhandener formalistischer Hintergrund nicht nur seine Vorliebe für Matrizes und dichotomische Modelle, sondern auch das grundlegende Problem seines Verfremdungskonzepts. ‚Verfremdung‘ meint bei ihm mindestens zwei Dinge, die sich auf sehr unterschiedlichen Ebenen abspielen. Einerseits dient ihm ‚estranged‘ als Gegenbegriff zu ‚naturalistic‘. Verfremdete Gattungen, zu denen neben der SF auch Märchen, Fantasy und Mythen gehören, erzählen von Dingen, die es nicht gibt. In dieser Bedeutung entspricht ‚estranged‘ weitgehend Todorovs Kategorie des Wunderbaren, dem, was man umgangssprachlich als ‚nicht-realistisch‘ bezeichnet.

Zugleich bezeichnet ‚Verfremdung‘ aber auch die in Suvins Augen wichtigste Wirkung der SF beim Leser. SF inszeniert jeweils Kollisionen zwischen der Welt, wie wir sie kennen, und einer uns fremdartigen – in Suvins Terminologie eben verfremdeten – Welt. SF stellt zwei Systeme gegeneinander: „a set normative system […] with a point of view implying a new set of norms“ (18). Diese Konfrontation führt beim Rezipienten zu einer veränderten Sicht auf die Welt. Das vermeintlich Vertraute erscheint in einem neuen Licht, wird nicht mehr als normal und natürlich gegeben wahrgenommen, sondern als eine Möglichkeit unter vielen. Genau darin liegt das kritische Potenzial des Genres.

In der Herleitung seines Verfremdungskonzepts bezieht sich Suvin auf die Ostranenie des Russischen Formalisten Viktor Šklovskij und den V-Effekt Bertolt Brechts, nimmt gegenüber diesen aber eine entscheidende Änderung vor. Beide Autoren beschreiben zwar eine der SF-typischen Verfremdung analoge Wirkung, bei genauerer Betrachtung unterscheiden sich ihre Verfahren aber deutlich von dieser. Sowohl für Šklovskij, der bei Suvin insgesamt eine untergeordnete Rolle spielt und dessen Erwähnung fast wie akademisches name dropping wirkt, wie auch für Brecht ist Verfremdung primär ein formal-rhetorisches Verfahren. Bei beiden geht es darum, wie etwas dargestellt wird – etwa eine ungewöhnliche erzählerische Perspektive oder im Falle Brechts eine distanzierte Spielweise. Wenn Suvin von einem „set normative system“ spricht, geht es dagegen wie schon bei den verfremdeten Gattungen offensichtlich nicht um die Darstellungsweise, sondern um das Dargestellte. Die Wirkung mag eine ähnliche sein wie bei Brecht, aber die Konfrontation, von der Suvin spricht, spielt sich nicht auf formaler Ebene ab, sondern innerhalb der Handlung, auf der Stufe der Diegese. Der Mechanismus, auf den es Suvin abgesehen hat, ist nicht formale, sondern diegetische Verfremdung (vgl. Spiegel 197–241).

 

Bertolt Brecht

Zentrale Bezugsperson: Bertolt Brecht.

Verfremdung im Sinne Suvins vollzieht sich innerhalb der fiktionalen Welt und damit auf einer Ebene, für die der Formalismus keine Beschreibungswerkzeuge bereithält. Aufschlussreich ist diesbezüglich eine Passage, in der Suvin die Brücke von Brechts epischem Theater zur SF schlägt: „In SF the attitude of estrangement – used by Brecht in a different way, within a still predominantly ‚realistic‘ context – has grown into the formal framework of the genre“ (19). Nachdem er zuvor naturalistische und verfremdete Literatur unterschieden hat, muss er nun ausgerechnet für Brecht, den Verfremdungsschriftsteller par excellence, die Möglichkeit von Verfremdung innerhalb eines „predominatly ‚realistic‘ context“ einräumen, obwohl dies in seiner Vierermatrix gar nicht vorgesehen ist. Warum das Manöver nötig ist, dürfte klar sein: Entgegen Suvins Einschätzung ist es gerade Brecht, dem Verfremdung als „formal framework“ dient. Die Welt seiner Stücke ist im Gegensatz zu SF, Märchen und Fantasy dagegen realistisch. Weil ihm das Konzept der fiktionalen Welt fehlt, muss Suvin alles, was SF ausmacht, in die formale Kategorie der Verfremdung hineinpacken, was schlechterdings nicht funktionieren kann. Bei genauer Lektüre zeigt sich, dass er immer wieder um dieses Problem kreist, es aber nie in den Griff kriegt. Das wird auch im letzten Kapitel des ersten Teils deutlich, welches das Novum zum Thema hat. Der Begriff des Novums ist wohl Suvins erfolgreichste Wortschöpfung; es bezeichnet bekanntlich jenes Element, das die jeweilige SF-Welt von der empirischen Realität unterscheidet, SF von Nicht-SF trennt. Parallel zur Bestimmung als kognitive Verfremdung lässt sich SF auch via Novum definieren: „SF is distinguished by the narrative dominance or hegemony of a fiction ‚novum‘ (novelty, innovation) validated by cognitive logic“ (79). Suvin betont dabei den hegemonialen Charakter des Novums; ein richtiges SF-Novum ist kein bloßes Gadget, sondern „so central and significant that it determines the whole narrative logic“ (87). Es ist die Totalität des Novums, welche die fiktionale Welt so umfassend verändert, dass sie für den Leser als fremd – respektive wunderbar – erscheint.

Bei der Frage, was das Novum von anderen wunderbaren Elementen, etwa magischen Utensilien der Fantasy, unterscheidet, führt Suvin einen ähnlichen Eiertanz auf wie zu Beginn, als er die SF als angemessenen Forschungsgegenstand würdigen und zugleich minderwertige Vertreter ausgrenzen will. Er ist sichtlich darum bemüht, von naiven Fan-Positionen abzurücken, welche die Wissenschaftlichkeit der SF – im Sinne naturwissenschaftlich-technischer Machbarkeit – betonen oder SF mit Futurologie gleichsetzen. Zugleich muss er aber eine klare Grenze zu Nicht-SF ziehen. Das Resultat ist eine Reihe hochgestochener, alles in allem aber nur mäßig erhellender Umschreibungen: „The novum is postulated and validated by the post-Cartesian and post-Baconian scientific method“ (81). Was SF von benachbarten Genres unterscheide, sei „the presence of scientific cognition as the sign or correlative of a method (way, approach, atmosphere, sensibility) identical to that of a modern philosophy of science“ (81). Der rhetorische Aufwand, den Suvin hier betreibt, ist beträchtlich, führt aber zu wenig mehr als der Aussage, dass das Genre irgendwie wissenschaftlich sei. Auffallend ist zudem, dass er kaum illustrierende Beispiele anführt, und wenn, dann keine typischen SF-Romane.

Später, wenn er ausführlicher auf das Oeuvre H. G. Wellsʼ eingeht, schreibt Suvin, das Novum sei bei diesem „always cloaked in pseudo-scientific explanation, the possibility of which turns out, upon closer inspection, to be no more than a conjuring trick“ (234). Wells, der als zentrale Figur in der Entstehung der modernen SF präsentiert wird, scheint somit ziemlich weit weg von einer „post-Cartesian and post-Baconian scientific method“. Zugleich zeigt sich hier und an anderen Stellen, dass Suvin durchaus erkennt, was SF tatsächlich auszeichnet. So bezeichnet er SF schon ganz zu Beginn als „a developed oxymoron, a realistic irreality, with humanized nonhumans, this-worldly Other World“ (2). All diese Umschreibungen laufen darauf hinaus, dass das wunderbare Novum in der SF eine (pseudo-)realistische, (pseudo-)wissenschaftliche Einkleidung erhält. Suvin sieht zwar in der Verfremdung den formalen Rahmen der SF, tatsächlich verhält es sich aber genau umgekehrt: Auf formaler Ebene macht SF nicht das Vertraute fremd, sondern das Fremde vertraut. Nicht Verfremdung, sondern Naturalisierung ist die zentrale formale Funktion der SF (vgl. Spiegel 50). Suvin scheint diesen Mechanismus zwar zu erkennen, kämpft aber auch hier wieder damit, dass sein formalistischer Ansatz nicht genug Beschreibungsebenen bereithält, um zwischen wunderbarer Ontologie und quasi-realistischer Darstellungsweise der jeweiligen fiktionalen Welt unterscheiden zu können.

Zu den wenig beleuchteten Aspekten der MoSF gehört der Umstand, dass diese keinen durchkomponierten Text darstellen, sondern eine Zusammenstellung verschiedener, teilweise bereits erschienener Texte. Diese wurden zwar überarbeitet, das Ergebnis wirkt aber vor allem im ersten Teil nicht wie eine Monografie aus einem Guss, sondern mehr wie eine Aufsatzsammlung. So gibt es zwischen den ersten beiden Kapiteln „Estrangement and Cognition“, das bereits 1972 als „On the Poetics of the Science Fiction Genre“ erschien, und „SF and the Genological Jungle“ zahlreiche, teilweise verwirrende Überschneidungen. Das dritte Kapitel verschiebt den Fokus dann ziemlich unvermittelt Richtung Utopie. Von SF ist vorerst nicht mehr die Rede, stattdessen werden verschiedene Definitionen der literarischen Utopie referiert, anhand derer Suvin schließlich seine eigene herleitet. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Kapiteln, in denen er darum bemüht ist, das Feld der SF-Forschung auszuweiten und auch ausgesprochene Nicht-Genre-Autoren zu integrieren, verfährt Suvin im Falle der Utopie anders. Eines seiner Hauptanliegen ist, die Utopie nicht als philosophisches, soziologisches oder politisches Konzept, sondern als literarisches Genre zu definieren. Obwohl insbesondere Ernst Bloch mit seinem Prinzip Hoffnung eine zentrale Referenz darstellt – von ihm stammt auch der Begriff des Novums –, versteht Suvin die Utopie im Gegensatz zu diesem explizit nicht als anthropologisches Prinzip, sondern als „verbal construction of a particular quasi-human community where sociopolitical institutions, norms, and individual relationships are organized according to a more perfect principle than in the author’s community“ (63).

Auch wenn Suvin erst am Ende dieses Kapitels wieder auf SF zu sprechen kommt, nehmen die Ausführungen zur Utopie eine wichtige Stellung in seiner Argumentation ein. An der Utopie wird das Verfremdungsprinzip besonders deutlich sichtbar. Wie Suvin ausführt – und diesbezüglich trifft er sich mit der aktuellen Utopieforschung (vgl. etwa Schölderles Studie Utopia und Utopie) – geht es der Utopie in erster Linie darum, ein Gegenbild zur Gegenwart, in der sie entstanden ist, zu entwerfen, um auf diese Weise deren Defizite kenntlich zu machen. Da der Plot bei der klassischen Utopie im Hintergrund steht und nur als Rahmen für die Beschreibung des utopischen Staates dient, tritt in ihr das Prinzip der kognitiven Verfremdung in seiner reinsten Form auf. In diesem Sinne ist auch die oft zitierte – und kritisierte – Formulierung zu verstehen, „utopia is not a genre but the sociopolitical subgenre of science fiction“ (76). Literaturhistorisch betrachtet ist diese Behauptung eindeutig falsch – es gibt keine direkte Abstammungslinie, die von Morusʼ Utopia zur Gernsback und Golden-Age-SF führen würde. Doch muss man sich an dieser Stelle einmal mehr in Erinnerung rufen, dass Suvin mit SF nicht das historische Genre gleichen Namens, sondern ein allgemeines Prinzip meint. Es geht nicht um eine literaturhistorische Herleitung, sondern darum, dass kognitive Verfremdung, die in der SF oft nur in ausgedünnter und trivialisierter Form zu finden ist, in der Utopie in Reinform auftritt. Die Utopie ist also weniger ein „Subgenre“ der suvinschen SF, sondern eher ihr konzeptionell-formaler Nukleus. Mit diesem Verständnis von Utopie und SF ist Suvin nicht allein. Fredric Jameson und in seinem Gefolge ein nicht unbedeutender Teil der angloamerikanischen SF-Forschung folgt dem gleichen Ansatz.5

Wie zu Beginn ausgeführt, wurde der zweite Teil der MoSF, der sich mit der Geschichte der SF beschäftigt, kaum rezipiert. Dies mag verschiedene Gründe haben, einer dürfte aber zweifellos sein, dass Suvin sich schlicht nicht mit moderner SF auseinandersetzt. Die einzigen Autoren des 20. Jahrhunderts, auf die er ausführlicher eingeht, sind H. G. Wells und Karel Čapek. Dieser ungewohnte Fokus ist kein Zufall, sondern folgt direkt aus seinem Verständnis des Genres. SF ist bei ihm „a submerged or plebeian ‚lower literature‘ expressing the yearnings of previously repressed or at any rate nonhegemonic social groups“ (135). Als solche ist sie eine subversive Literatur und ihre Geschichte ein ständiger Kampf einzelner kritischer Autoren wie Morus, Cyrano oder Swift gegen eine Obrigkeit, die jegliche Kritik im Keim ersticken will. Aus ihrer natürlichen Volksverbundenheit folgt auch, dass die SF mit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts zwangsläufig zur proletarischen und revolutionären Literatur wird. In dieser alternate history des Genres ist SF somit nicht Teil einer kommerziellen Unterhaltungsliteratur, sondern Instrument im antikapitalistischen Kampf. Dieser Ansatz wird just in dem Moment zum Problem, als sich SF als eigenständiges Genre etabliert. Statt seine kritische Wirkung voll auszuspielen, wird das Genre nun vom Kapitalismus korrumpiert; in der Folge werden die wenigen echten Vertreter marginalisiert, und die plebejischen Massen kriegen statt kritischer Literatur verdummende Dutzendware ohne jeden kognitiven Wert vorgesetzt.

In seiner Geschichte der SF muss Suvin immer wieder Abwehrgefechte führen und große Gebiete aus dem Genre ausgrenzen. Die Tradition der Gothic Novel etwa wird nur im Zusammenhang mit Frankenstein (1815) kurz erwähnt und dabei maßgeblich für die Schwächen von Mary Shelleys Roman verantwortlich gemacht. Edgar Allan Poe – „with Mary Shelly the first significant figure in this tradition to make a living by writing for periodicals“ (161) – hat zwar auch in Suvins Augen einen immensen Einfluss auf die Entwicklung des Genres und kann sogar als „the first theoretician of SF“ (164) gelten, dennoch – oder zugleich – ist er nicht weniger als „the originator of what is least mature in the writing commercially peddled as SF“ (162).

Das 19. Jahrhundert, das von den meisten SF-Historikern als jene Epoche betrachtet wird, in denen sich die moderne SF allmählich formierte – primär als Folge der industriellen Revolution –, erscheint bei Suvin eher als eine Phase des Niedergangs, in der sich die spätere völlige Vereinnahmung bereits anbahnt. Mit dem Aufstieg des Kapitalismus geht eine „increasing closure of liberal bourgeois horizons“ (193) einher, womit auch immer weniger Platz für (echte) SF bleibt. Eine Ausnahme bilden genuin sozialistische Utopien wie Edward Bellamys Looking Backward (1888) und William Morris’ News from Nowhere (1890), auf die Suvin ausführlich eingeht.

Kapitän Nemo

Jules Vernes Helden bleiben zum Fremden auf Distanz.

Mit Jules Verne, dem ein Kapitel gewidmet ist, geht Suvin überraschend freundlich um. Er bezeichnet ihn trotz ideologischer Defizite, die dieser als bürgerlicher Erfolgsautor zwangsläufig hat, als „one of the shapers of modern SF“ (184). Die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse schränken Verne freilich stark ein, entsprechend muss die Einschätzung als echter SF-Autor relativiert werden. Suvin spricht an dieser Stelle lieber von „novels of science“ als von SF, denn echte Nova habe Verne nur selten zu bieten. Nemos Nautilus, das Mondgeschoss und andere von Vernes Erfindungen führen selten in wirklich fremde Welten; Vernes Helden entdeckten nur, was ohnehin schon bekannt sei – so umkreisen die Mondreisenden den Erdtrabanten lediglich und betreten ihn nie –, und kehren am Ende, nach hektischen Reisen, jeweils in die bekannte Welt zurück.

Obwohl anschließend noch je ein Kapitel zur russischen SF und zu Karel Čapek – ein Autor, der heute den meisten nur noch als Erfinder des Wortes „Roboter“ bekannt sein dürfte – folgt, bilden die beiden Kapitel zu H. G. Wells im Grunde den Abschluss von Suvins SF-Historie. Wells erscheint als der Autor, welcher dem Genre sein modernes Gewand verliehen hat, er ist „the central writer in the tradition of SF“ (244). Zugleich hadert Suvin mit ihm. Wells bezeichnete sich selbst zwar als Sozialisten, war politisch aber dennoch schwierig zu fassen. Er überwarf sich mit den britischen Fabianisten, bewunderte Lenin und nahm im Laufe seines Lebens in zahlreichen Fragen sehr unterschiedliche Positionen ein. Ähnlich in seinen Romanen: Genüsslich legt er in The War of the Worlds (1898) das britische Empire in Schutt und Asche (womit er das Modell für unzählige folgende Invasionsszenarien, nicht zuletzt im SF-Kino, schuf) und macht in The Time Machine (1895) die müßiggängerische Bourgeoisie der Elois zum Schlachtvieh der Morlocks. Seiner Kritik an der englischen Oberschicht steht aber eine ebenso vehemente Ablehnung der Unterschicht – welcher er selbst entstammte – gegenüber. In utopischen Entwürfen wie A Modern Utopia (1905) oder The Shape of Things to Come (1933) liegt das politische Geschick stets in den Händen einer technokratischen Elite. Dass Suvin Wellsʼ Oeuvre sehr unterschiedlich bewertet, kann somit nicht überraschen. Trotz teilweise großer Vorbehalte gegenüber einzelnen Werken besteht an dessen zentraler Rolle aber dennoch kein Zweifel: „all subsequent significant SF can be said to have sprung from Wellsʼs Time Machine“ (246).

Das Wiederlesen von Klassikern kann sehr unterschiedliche Effekte haben. Im besten Fall ist man positiv überrascht, wie aktuell ein bestimmtes Buch noch ist, wie viel Wertvolles, mittlerweile aber Vergessenes es in dem Text noch zu bergen gibt. Auch das Gegenteil kann eintreten: Verwunderung darüber, wie es ein Werk je zu seinem Status gebracht hat. Warum die MoSF derart wirkungsreich waren, dürfte verschiedene Gründe haben. Das Buch erschien zum richtigen Zeitpunkt, und mit dem Novum und dem Prinzip der kognitiven Verfremdung enthielt es zwei Konzepte, die sich als äußerst fruchtbar erwiesen. Dass Suvins Verständnis von Verfremdung widersprüchlich ist, dürfte sich dabei langfristig sogar als Vorteil entpuppt haben. Es ermöglichte nachfolgenden Autoren, alles Mögliche unter dem Begriff zu fassen.

So wichtig Suvins Buch historisch zweifellos ist, heutigen Lesern hat es erstaunlich wenig zu sagen. Die Zeit hat es nicht gut mit den MoSF gemeint und ihr Autor scheint sich dessen bis zu einem gewissen Grad auch bewusst zu sein. Wie Suvin, der in Zagreb geboren wurde, einen großen Teil seiner akademischen Laufbahn in Kanada verbrachte und heute in Italien lebt, selber schreibt, verfasste er sein Buch zu einem Zeitpunkt, als zumindest in seinen Augen noch Hoffnung für das sozialistische Projekt bestand. Suvins resolute Bewertungen sind immer von der Gewissheit getragen, dass die Geschichte ihm dereinst Recht geben, dass sich die Wahrheit am Ende durchsetzen werde. Es ist gründlich anders gekommen. Ob man dies nun begrüßt oder bedauert – große Teile der MoSF wirken heute veraltet und seltsam realitätsfremd. Suvins Feldzug für eine kritische SF hatte schon 1979 etwas von einem Kampf gegen Windmühlen, fast 40 Jahre später, in einem Zeitalter von Superhelden-Blockbustern und endlosen Star-Wars-Sequels, wirkt er wie ein Zwischenruf aus einem Paralleluniversum.

Suvin selbst ist seiner Sache – leider, muss man sagen – treu geblieben. Davon zeugen nicht zuletzt die drei Artikel, die der Neuauflage beigefügt wurden. Wirklich Neues ist in ihnen nicht zu finden, vielmehr verstärken sich in ihnen verschiedene Tendenzen, die schon in den MoSF negativ auffallen. Dazu gehören die scharfe Ablehnung nicht genehmer Texte, ein oft unnötig mühsamer Stil, das wilde Zitieren von Autoren und philosophischen Konzepten, ohne vertieft auf diese einzugehen, und – vor allem – immer weniger Beschäftigung mit literarischen Texten. Beispielhaft hierfür ist der bereits 2000 erschienene Text „Considering the Sense of ‚Fantasy‘ or ‚Fantastic Fiction‘: An Effusion“. Angekündigt wird Umstürzlerisches: In komplettem Widerspruch zu früheren Aussagen gesteht Suvin nun auch Fantasy und anverwandten Formen die Möglichkeit zu, kognitiv verfremdend zu wirken. Dieses Zugeständnis kommt freilich nicht ohne die gewichtige Einschränkung, dass ein Großteil des Genres nach wie vor – oder umso mehr – Schrott sei. Fantasy ist für Suvin ein ahistorisches Genre, „denying history as socio-economic lawfulness“ (405), und Gegenbeispiele wie Samuel R. Delanys Nevèrÿon-Reihe, „concerned with such historical matters as gender ironies, slave revolt, and the rise of patriarchy and of AIDS, fit uneasily into, or to my mind mostly fall out of, Fantasy“ (404). Die für die SF erhobene Forderung, ein Genre stets von seinem Höhenkamm aus zu beurteilen, scheint für die Fantasy nicht zu gelten. Werke wie die Delanys oder Le Guins, die Suvins Zustimmung finden, sind eigentlich keine echte Fantasy.

Fast noch entnervender als diese Richtigstellung, die sich weitgehend als eine Bestätigung alter Positionen entpuppt, ist aber einmal mehr, dass Suvin sich kaum die Mühe macht, mal ausführlicher auf einen Text einzugehen. Stattdessen verbringt er Seiten damit, über den schlechten Zustand der Welt zu lamentieren und Marx zu referieren.

Dieses evidente Abrücken von traditioneller Literaturwissenschaft ist Programm, Suvin selbst spricht in neueren Texten in Bezug auf sein Vorhaben gerne von „political epistemology“. In Zeiten eines entfesselten Kapitalismus reicht es nicht, bloß über SF zu schreiben, „but also taking on with philological tools, according to one’s competence and conscience […] the Orwellian discourse about war, terrorism, immigrants, and similar issues“ (450). Kein Rückzug in den Elfenbeinturm, sondern Arbeit am revolutionären Projekt. Dem wäre entgegenzuhalten, dass Suvin in seinen Texten kaum je auf konkrete politische Missstände und Maßnahmen eingeht, sondern in einem diffusen Zwischenbereich zwischen Literatur, Politik und Philosophie schwebt. Seine politische Erkenntnistheorie ist damit weder als literaturwissenschaftliche Methode noch als Werkzeug politischer Aktion wirklich befriedigend.

Zitierte Werke

Bould, Mark und China Miéville, Hg. Red Planets: Marxism and Science Fiction. Middletown: Wesleyan UP, 2009.

Freedman, Carl. Critical Theory and Science Fiction. Middletown: Wesleyan UP, 2000.

Jameson, Fredric. Archaeologies of the Future: The Desire Called Utopia and other Science Fictions. London: Verso, 2005.

Moylan, Tom. Demand the Impossible: Science Fiction and the Utopian Imagination. 1986. Hg. Raffaella Baccolini. Oxford: Lang, 2014.

Parrinder, Patrick, Hg. Learning From Other Worlds: Estrangement, Cognition, and the Politics of Science Fiction. Liverpool: Liverpool UP, 2001.

Schölderle, Thomas. Utopia und Utopie: Thomas Morus, die Geschichte der Utopie und die Kontroverse um ihren Begriff. Baden-Baden: Nomos, 2011.

Spiegel, Simon. Die Konstitution des Wunderbaren: Zu einer Poetik des Science-Fiction-Films. Marburg: Schüren, 2007.

Suvin, Darko. „On the Poetics of the Science Fiction Genre”. College English 34.3 (1972): 372–82.

—. Victorian Science Fiction in the UK: The Discourse of Knowledge and of Power. Boston; Hall, 1983.

Todorov, Tzvetan. Einführung in die fantastische Literatur. 1970. Frankfurt/M.: Fischer, 1992.

Suvin, Darko. Metamorphoses of Science Fiction: On the Poetics and
History of a Literary Genre
. 1979. Hg. Gerry Canavan. Oxford: Lang, 2016.

  1. Siehe dazu unter anderem Parrinder, Freedman, Bould und Miéville, Spiegel.[]
  2. Die normative Tendenz verstärkt sich in späteren Texten teilweise noch. In Suvins 1983 erschienenem Buch zur viktorianischen SF – einem Werk, das mit wenigen Ausnahmen von der Forschung komplett ignoriert wurde – ist sogar eine „List of 101 Victorian Books That Should Be Excluded From SF Bibliographies“ enthalten.[]
  3. Mit ‚Fantasy‘ ist nicht Epic Fantasy im Stile Tolkiens gemeint, sondern vor allem Horror und verwandte Formen (409). Tatsächlich fällt der Name Tolkiens in der Erstausgabe der MoSF nie.[]
  4. In der neuen Einleitung entwirft er ein differenzierteres Raster mit neun verschiedenen Kategorien (xlviii); ob dieses tatsächlich nützlicher ist als sein Vorgänger, scheint mir allerdings zweifelhaft.[]
  5. Auf der Rückseite des Buches findet sich denn auch ein „Blurb“ von Jameson, in dem dieser hervorhebt, dass Suvins Buch die SF mit „the traditions of utopia as a genre“ wiedervereinigt habe. Siehe dazu auch Jamesons Archaeologies of the Future, das u. a. Suvin und Kim Stanley Robinson gewidmet ist. Von Robinson, für Suvin „the best SF writer who has […] emerged from the 1990s“ (451), stammt nicht ganz zufällig der zweite MoSF-Blurb.[]

My First Worldcon

Zur Science Fiction (SF) gehören nicht nur Literatur und Filme, sondern auch das Fandom, die Gruppe der – mehr oder weniger – organisierten Fans. In der Geschichte des Genres spielt das Fandom schon ab den 1930er-Jahren eine wichtige Rolle. In der Sekundärliteratur wird oft hervorgehoben, welch grosse Bedeutung die Fans für die Entwicklung der SF haben. Der Austausch zwischen Produzenten und Publikum ist in der SF traditionell sehr intensiv, viele Autorinnen und Herausgeber entstammen ursprünglich dem Fandom.

Schon früh begannen sich die Fans an sogenannten Cons – Kurzform für Conventions – zu treffen. Die erste Worldcon – die allerdings noch eine reine US-Angelegenheit war – fand 1939 parallel zur Weltausstellung in New York statt. Seither ist das Fandom gewachsen und internationaler geworden, seit geraumer Zeit finden die Worldcons auch regelmässig ausserhalb der USA statt.

Obwohl ich mich seit gut 20 Jahren – es ist tatsächlich schon so lang! –wissenschaftlich mit SF und verwandten Phänomenen beschäftige, kenne ich das Fandom bisher im Grunde nur aus zweiter Hand. Es mag Aussenstehende, die mit SF nichts am Hut haben, überraschen, aber ich selbst betrachte mich nicht als SF-Fan. Wenn man von meiner Mitgliedschaft im Online-Forum scifinet.org, wo ich seit Jahren mit dabei bin, absieht, gehe ich kaum typischen Fan-Aktivitäten nach. Meine einzige Con-Teilnahme beschränkte sich bisher auf einen kurzen, eher zufälligen Besuch am israelischen iCon im vergangenen Jahr. Eine Worldcon-Teilnahme zog ich nie ernsthaft in Betracht.

So wäre es wahrscheinlich auch geblieben, wenn nicht vergangenes Jahr ein Call for Paper für den Academic Track am diesjährigen 75. Worldcon in Helsinki ergangen wäre. Diese wissenschaftliche Tagung innerhalb des Cons stand unter dem Thema «100 Years of Estrangement», Anlass war – einmal mehr – der 100. Geburtstag von Viktor Šklovskijs Aufsatz «Die Kunst als Verfahren». Wie die drei regelmässigen Leser dieses Blogs wissen, habe ich mich in der Vergangenheit ausführlich mit diesem Text auseinandergesetzt, folglich musste ich auch hier was einreichen. Und so kam ich unverhofft zu meinem ersten Worldcon-Besuch.

Ich besuchte auch mehrere Panels des wissenschaftlichen Tracks, bei meinem Besuch in Helsinki stand aber dennoch die eigentliche Convention im Vordergrund. Denn wie wissenschaftliche Tagungen ablaufen, weiss ich mittlerweile, die Con-Welt war dagegen neu für mich. Im Folgenden deshalb einige halbwegs geordnete Worldcon-Eindrücke.

Alle sind willkommen

Das Fandom hat ein sehr ausgeprägtes Selbstverständnis, eine Identität, auf die man stolz ist und die man pflegt. Ein Kernelement ist dabei die Offenheit; niemand soll ausgegrenzt werden, alle – auch und besonders Minderheiten und Randgruppen – sind willkommen.1 Diese Offenheit wird, so mein Eindruck, auch wirklich gelebt. Nicht nur, dass ich schon am ersten Morgen fast mit George R. R. Martin kollidierte, der trotz Weltruhm und Millionenauflagen auch bloss ein SF-Fan unter vielen war, ein bunteres Publikum als in Helsinki kann man sich kaum vorstellen. Die SF-Fans verstehen sich als Aussenseiter, ja sie zelebrieren dies geradezu. Wie es eine Con-Bekanntschaft formulierte: «We’re all weird». Egal, wie sehr man von vermeintlichen gesellschaftlichen Normen abzuweichen meint, an der Worldcon aus dem Rahmen zu fallen, ist schier unmöglich. Es begann schon vor dem Kongresszentrum, wo ein paar junge Männer im Mad-Max: Fury-Road-Outfit ihre Schmiedekünste vorführten. Und drinnen ging es im gleichen Stil weiter. Auch für Con-Besucher mit Behinderungen wurde gesorgt. Das Access-Desk war stets besetzt, Besucher, die auf Gehhilfen o. ä. angewiesen waren, konnten immer mit Rücksichtsnahme rechnen.

Finnische Schmiede

Finnische Schmiede.

So bunt das Publikum auch war, geographisch schien das Publikum dennoch relativ begrenzt. Offiziell verteilten sich die über 5500 7000 Besucher auf über 60 Länder, mein – zugegeben völlig subjektiver – Eindruck war aber ein anderer. Auf mich wirkte die Con mit Ausnahme einer grossen chinesischen Delegation sehr weiss. Auch Frankreich und Südeuropa schienen mir nicht sonderlich prominent vertreten.2 Das mag auch mit den hohen Preisen in Finnland zusammenhängen – ein beliebtes Gesprächsthema unter den Con-Besuchen –, andererseits traf ich erstaunlich viele australische Gäste an, für die die Reise nach Finnland nun wirklich kein Pappenstiel ist. Wie gesagt: Das sind sehr subjektive Eindrücke, aber Afrika, Südamerika und weite Teile Asiens schienen mir definitiv nicht sehr präsent.

Breites Programm

SF, wie sie sich am Worldcon präsentierte, beschränkt keineswegs nur auf Literatur und Film. Das Fandom fächert sich vielmehr in unzählige Untergruppen auf. So sprach ich am ersten Abend – an einem Apéro im Rathaus von Helsinki! – mit einem Physiker, der an der Con einen Vortrag über den aktuelle Stand der Marsforschung hielt. Natürlich fragte ich ihn, was er von Kim Stanley Robinsons Mars-Trilogie hält, worauf er mir gestand, dass er nie über Seite 100 hinausgekommen sei. Lesen sei nicht sein Ding, er interessiere sich einfach für die Erforschung des Alls. Diese Haltung scheint mir insofern typisch, als der konkrete Bezugspunkt zur SF (oder zu Fantasy) je nach Fan stark variieren kann. Es gibt Büchernarren, Cosplayer, die sich verkleiden, Sammler, Autoren von Fan Fiction, Filker, die Songs mit SF- und Fantasy-Themen singen, und noch vieles andere. Im Sinne einer Horizont-Erweiterung nahm ich am folgenden Abend an einer Filk-Runde teil, musste aber bald einsehen, dass das eine Facette des Fandoms ist, mit der ich definitiv nichts anfangen kann.

Ein Taschen-Alien und ein Lightsaber

Wichtige Fan-Utensilien.

Generell hat die Worldcon etwas bestätigt, was ich ohnehin schon wusste: Ein grosser Teil der Fandom-Aktivitäten ist mir letztlich fremd. Ich habe durchaus Spass daran, wenn sich jemand aufwendig verkleidet, und ich durchstöbere gerne Bücherstände oder schaue mir Fan-Artikel wie einen Lightsaber oder ein Taschen-Alien an, über ein amüsiertes Betrachten geht es aber selten hinaus. Weder verspüre ich den Drang, eine möglichst vollständige Sammlung von Game-of-Thrones- oder Blade-Runner-Paraphernalien zu besitzen, noch würde ich mir je ein Kostüm basteln (oder wenn, dann nur für einen ganz besonderen Anlass); ja selbst die diversen Special-Editions von Filmen und BluRay-Boxen interessieren mich kaum.

Dennoch war ich – eben im Sinne einer Horizont-Erweiterung – darum bemüht, die Breite des Con-Programms zumindest ansatzweise abzudecken und eine Reihe verschiedener Formate zu erkunden. Unter anderem besuchte ich bewusst mehrere Panels, die das Fandom selbst zum Thema hatten. Das war durchaus interessant, aber mehr aus einer gewissermassen ethnologischen Perspektive, als Illustration, wie das Fandom funktioniert. Inhaltlich direkt angesprochen hat mich wenig.

Auffällig war, dass bei vielen Gelegenheiten die lange Geschichte des Fandoms betont wurde. Dass sich Gruppen und Institutionen ihrer selbst vergewissern, indem sie ihre Traditionen pflegen und die eigene Herkunft herausstreichen, ist nichts Aussergewöhnliches (man ziehe nur etwa die Oscar-Verleihung zum Vergleich heran, bei der fortlaufend die Geschichte Hollywoods beschworen wird). Und dass auch und gerade die SF, die sich vermeintlich mit der Zukunft beschäftigt, einen ausgeprägten Hang zur Nostalgie hat, habe ich schon früher beschrieben. Dennoch war es interessant zu sehen, wie sehr die Worldcon ihre eigene Geschichte pflegt. So gab es ein eigenes – allerdings nicht sonderlich gut besuchtes – Panel zum Sammeln von Worldcon-Memorabilia, und die Hugo-Preisverleihung (dazu gleich mehr) enthielt mehrere Programmpunkte, die ausschliesslich der eigenen Geschichte galten.3 Für manche Fans ist letztlich das Fandom selbst der Dreh- und Angelpunkt ihres Fan-Daseins. Ganz im Sinne des Fan-Slogans FIAWOL – Fandom is a way of life.4

Die Hugos

Der Hugo, benannt nach Hugo Gernsback, dem ‹Vater der SF›, ist der wichtigste SF-Preis und wird jeweils von den Worldcon-Teilnehmern in einem zweistufigen Wahlverfahren gewählt. Die Hugo-Preisverleihung war einer der Worldcon-Höhepunkte, weshalb ich natürlich im Publikum sein wollte.

Die meisten Preisverleihungen sind eine öde Sache, die sich ewig hinzieht; etwas Langweiligeres als die Oscar-Verleihung gibt es kaum. Die Hugos stellten für mich diesbezüglich eine positive Überraschung dar. Obwohl ich die grosse Mehrheit der nominierten Werke resp. Autorinnen und Autoren bestenfalls dem Namen nach kannte (die Liste der Gewinner gibt es hier), empfand ich die fast dreistündige Veranstaltung über weite Strecken als kurzweilig und stellenweise sogar als regelrecht berührend (das Segment mit dem japanischen Seun-Preis war allerdings eher mühsam). Hinterher hörte ich zwar von verschiedener Seite, dass das eine der schwächsten Hugo-Verleihungen seit langem gewesen sei, meiner Meinung nach kann sich aber so manche Preis-Zeremonie eine Scheibe von den Hugos abschneiden.

Die Hugo-Verleihung – kurz vor Beginn.

Die Hugo-Verleihung – kurz vor Beginn.

Bekannte Gesichter

Die SF-Welt ist klein, und so erstaunt es nicht, dass ich in Helsinki eine Reihe bekannter Gesichter – oder vielmehr Namen – traf. Neben Leuten wie Farah Mendlesohn, Niall Harrison oder Bodhisattva Chattopadhyay, die ich von früheren Tagungen kannte, war es vor allem eine Gelegenheit, viele deutschsprachige Fans, mit denen ich bislang nur über digitale Kanäle zu tun hatte, erstmals in Fleisch und Blut zu treffen, u. a. SF-Viel-Autor Dirk van den Boom, SF-Herausgeber Hannes Riffel, den SFCD-Vorsitzenden Thomas Recktenwald, Hardy Kettlitz, Nina Horvath, und noch ein paar andere, die mir gerade nicht einfallen. Immer wieder interessant, wenn man Leuten, die virtuell bereits seit Jahren kennt, plötzlich leibhaftig gegenübersteht (und sich beispielsweise in der Vermutung bestätigt sieht, dass Dirk durchaus in der Lage ist, ein Gespräch ganz ohne Proll-Einlage zu führen).

Die kritische Grösse

Was nun folgt, mag auf den ersten Blick dem Vorangegangenen widersprechen, tut es aber nur teilweise – es war für mich schwieriger als erwartet, Anschluss zu finden. Der Grund dafür lag weder daran, dass ich niemanden kannte (s. oben), noch daran, dass die Leute abweisend waren. Im Gegenteil: Eigentlich immer, wenn ich jemanden ansprach, war die Reaktion sehr freundlich. Das Problem war vielmehr die Grösse der Veranstaltung.

Von wissenschaftlichen Tagungen, an denen jeweils kaum mehr als ein drei-, vierhundert Nasen teilnehmen, bin ich es gewohnt, dass man, selbst wenn man im Voraus so gut wie niemanden kennt, spätestens nach zwei Kaffeepausen mit ein paar Leuten Leuten Kontakt geknüpft hat, mit denen man dann im Folgenden die Zeit verbringt; sprich: essen oder des Abends einen trinken geht. An der Worldcon gestaltete sich das deutlich schwieriger. Bei mehreren Tausend Teilnehmern und stets einem Dutzend paralleler Veranstaltungen, ist es nicht ganz einfach, an «seinen Leuten» dranzubleiben.

Kommt hinzu, dass es ganz unterschiedliche Arten von Con-Teilnehmern gibt: Die einen wollen so viele Panels wie möglich besuchen, andere sind auf Souvenir-Jagd, wieder andere führen ihre Kostüme vor oder sind primär aus geschäftlichen Gründen hier; und für einen nicht unbeträchtlichen Teil Alteinessessener geht es eben vor allem darum, alte Freunde zu treffen. Für einen einzelnen Besucher wie mich, der keinen klaren Fokus hat, der also nicht sofort mit einem Modellbauer oder einem Filk-Sänger über die ausgefeiltesten Details seiner Leidenschaft diskutieren kann resp. will, wird es da schwierig. Wohl nicht zuletzt deshalb war ich schliesslich an mehr akademischen Panels, als ich ursprünglich gedacht hatte – denn hier konnte ich über esoterische Details fachsimpeln.

Wahrscheinlich hört sich das jetzt dramatischer an, als es gemeint ist, denn ich fühlte mich nie einsam oder verloren. Wer zum ersten Mal einen Worldcon besucht, dem empfehle ich aber, in Begleitung hinzugehen.

Zum Schluss

Was bleibt als Fazit? Dass ich nicht dem Con-Fieber erlag, lag zweifellos vor allem an mir und nicht am Anlass. Die Worldcon75 war, soweit ich das beurteilen kann, eine sehr gelungene und äusserst professionell organisierte Veranstaltung. Zwar gab es zu Beginn bei verschiedenen Panels Platzprobleme, die Organisatoren reagierten darauf aber schnell. Ansonsten war der Ablauf in vielerlei Hinsicht vorbildlich. Die Registrierung vollzog sich in Windeseile, die Programm-App war übersichtlicher als bei manchem Filmfestival, es gab viele Helfer, die tatsächlich hilfsbereit waren, disziplinierte Besucher, ein offenes WLAN und für jeden Teilnehmer eine für die ganze Veranstaltungsdauer gültige Fahrkarte für den öffentlichen Verkehr. – Ich werde zwar kaum zu einem regelmässigen Con-Besucher werden, alles in allem aber eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte.

Erwähnte Literatur

Bacon-Smith, Camille: Science Fiction Culture. Philadelphia 2000.

Šklovskij, Viktor: «Die Kunst als Verfahren». In: Striedter, Jurij (Hg.): Texte der Russsischen Formalisten. Bd. 1. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. München 1969, 3–35.

Todorov, Tzvetan: Einführung in die fantastische Literatur. Frankfurt a. M. 1992.

  1. Umso schmerzhafter war die Puppies-Affäre, bei der ein paar rechtsgerichtete Trottel versuchten, ein Zeichen gegen den angeblichen Political-Correctness-Terror zu setzen und die Hugos, den wichtigsten SF-Preis, zu kapern. Diese feindliche Übernahme, die glücklicherweise abgewehrt werden konnte, traf das Fandom an einem zentralen Punkt.[]
  2. Frankreich stellt möglicherweise einen Sonderfall dar. Das Land, das diesbezüglich eigentlich auf eine lange Tradition zurückblicken kann, ist auch an wissenschaftlichen Konferenzen zu SF und verwandten Themen so gut wie nie vertreten.[]
  3. Geradezu gerührt war ich vom In-Memoriam-Segment, in dem der im vergangenen Jahr Verstorbenen gedacht wurde. Neben Martin Landau, George Romero, Adam West und diversen anderen war hier tatsächlich auch Tzvetan Todorov aufgeführt. Das entbehrt, nicht einer gewissen Ironie, denn seine Ausführungen zur SF zeugen von kompletter Ignoranz.[]
  4. Camille Bacon-Smith hat das bereits in ihrer Studie Science Fiction Culture beschrieben.[]